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Das fehlende Vorbild

Männer als Täter ernst nehmen und mit den Folgen ihres Handelns konfrontieren: Hamburger Beratungsstelle „Männer gegen Männer-Gewalt“ will mit Kampagne mehr Betroffene erreichen

von GERNOT KNÖDLER

Gewalt ist ein männliches Phänomen. Sie kann vermieden werden, indem sich Männer mit sich selbst auseinander setzen. Günstig ist dabei eine therapeutische Arbeit mit anderen Männern, weil es diesen leichter fällt als Frauen, den Mann als Täter zu akzeptieren und mit den Folgen seines Handelns zu konfrontieren. Nach diesem Konzept arbeitet die Beratungsstelle „Männer gegen Männer-Gewalt“ seit 1984. Weil Mundpropaganda schlecht funktioniert, da kaum ein Mann gegenüber einem anderen prob-lematisiert, dass er seine kleinen Kinder prügelt, hat die Beratungsstelle jetzt eine Werbekampagne gestartet.

„Gewalt ist ein männer- beziehungsweise jungentypisches Abwehrverhalten“, heißt es in einer Broschüre des Trägervereins. Sie diene dazu, die eigene Angst und das eigene Ohnmachtsgefühl an das Opfer zu delegieren, um damit ein in Wahrheit unerreichbares Idealbild seiner selbst zu erhalten. Der Grundstein hierfür werde bei den Jungen gelegt, denen Männer als real erlebbare Rollenvorbilder fehlten, da die meisten Väter nach wie vor im Alltag kaum verfügbar seien: Sie arbeiten, und wenn sie nach Hause kommen, entziehen sie sich, weil sie müde sind.

Die „Abwesenheit eines emotional spürbaren Gegenübers“ bedeute, dass „Jungen keine realistischen Vorstellungen von dem, was Männlichkeit heißt, entwickeln können, schreiben die Autoren Joachim Lempert und Burkhard Oelemann. Das führe zu Überforderung durch das Vorbild von Phantasiehelden, die keine Gefühle kennen und die ihren Problemen bezeichnenderweise mit exzessiver Gewalt begegnen.

Lempert und Oelemann sind die Vorsitzenden des Vereins, dessen Name als Warenzeichen eingetragen ist. Lempert betreibt ein nach ihm benanntes Institut, das Gewaltberater ausbildet. Auch die Bezeichnung „Gewaltberatung“ hat der Verein mit einem Copyright versehen lassen.

Die Verunsicherung der Jungen in ihrer Geschlechterrolle spiegelt sich nach Lempert und Oelemann in folgenden Zahlen: Jungen sind bis zu achtmal häufiger psychisch oder psychosomatisch gestört als Mädchen. Doppelt so viele Jungen wie Mädchen werden zu Erziehungsberatungsstellen gebracht. 1993 betrug der Anteil von Jungen in Förderschulen 61 und in Schulen für Verhaltensauffällige 86 Prozent. Jungen tauchen 60-mal häufiger in der Kriminalitätsstatistik auf als Mädchen.

Dabei ist die Hürde für erwachsene Jungs, Beratungsstellen aufzusuchen, viel höher als für Frauen. Gerade fünf Prozent der Klienten allgemeiner Lebensberatungsstellen sind Männer. Weil es ihrem Selbstbild widerspricht, warten Männer mit dem Aufsuchen eines Beratungsangebotes oft so lange, bis sie keine Alternative – außer dem Suizid – haben. Dann aber kämen diese Männer – ein repräsentativer Querschnitt der männlichen Bevölkerung – aus eigenem Antrieb zur Beratung, ohne dass sie angezeigt worden wären, berichtet der Gewaltberater Günter Reif.

Für ihn und seine Kollegen macht es bei der Beratung keinen Unterschied, ob der Täter „sexualisierte“ Gewalt ausübte oder nicht. Sie sagen „sexualisierte“ nicht „sexuelle“ Gewalt, weil die Sexualität in ihren Augen nur ein Mittel für den Täter ist, Gewalt auszuüben. „Es geht nicht darum zu lieben“, sagt Reif. Die Täter versuchten, Nähe herzustellen, indem sie die Grenzen eines anderen verletzten. Der Anteil der sexualisiert gewalttätigen Männer in der Beratung beträgt zwölf Prozent.

Die Beratungsstelle wird von der Sozialbehörde mit 160.000 Euro im Jahr unterstützt. Damit werden 2,25 Beraterstellen finanziert. Ein großer Teil der Arbeit wird nach Angaben des Vereins ehrenamtlich geleistet. Sie beginnt mit Einzelgesprächen und wird in Trainingsgruppen mit etwa zehn Männern fortgesetzt. Die Werbekampagne, für die die Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram die Schirmherrschaft übernommen hat, soll dieses Angebot möglichst vielen bekannt machen, „damit jeder weiß, wohin er sich wenden kann, wenn er Hilfe braucht“, so Schnieber-Jastram.

Die Beratungsstelle ist montags bis mittwochs von 11 bis 15 Uhr, dienstags von 15 bis 17 Uhr und donnerstags von 17 bis 21 Uhr unter ☎ 220 12 77 erreichbar. Die Kosten richten sich nach dem Einkommen des Ratsuchenden

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