: Mottenjagd hat begonnen
Seit gestern rücken phytopathologische Sondertruppen der Miniermotte zu Leibe. In der Hasenheide harken Sozialhilfeempfänger das befallene Kastanienlaub zusammen. Weitere Aktionen folgen
von HANNO CHARISIUS und JÜRGEN SCHULZ
Außer Dealern, Joggern und Zivilpolizisten waren gestern Vormittag nur wenige hartgesottene Spaziergänger und ein Entseuchungskommando im Volkspark Hasenheide unterwegs. Der kleine Trupp der Schädlingsbekämpfer trotzte Wind und Dauerregen und sammelte an den einschlägigen Brennpunkten infektiöses Material ein. Gegen Mittag waren die ersten Container voll mit Kastanienblättern.
Seit gestern geht es Cameraria ohridella, der Rosskastanien-Miniermotte, an den Kragen. Das Neuköllner Stadtgrün wurde Schauplatz einer beispiellosen Attacke gegen die gefräßige Mottenlarve, die Stollen durch Kastanienblätter bohrt (siehe taz vom 4. 7. 2002). Beispiellos deshalb, weil zum Entseuchungskommando zum Harken beorderte Sozialhilfeempfänger gehörten.
„Das ist Bestandteil einer dreiteiligen Aktion“, sagt Stefanie Vogelsang (CDU), Baustadträtin von Neukölln. An zwei weiteren Fronten werde außerdem gegen den Schädling gekämpft. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) befreit die Straßen Neuköllns vom eier- und larvenverseuchtem Laub, und am kommenden Freitag um 11 Uhr startet ein konzertierter Angriff: Bürger, Beamte und Politiker treten dann Seite an Seite gegen die Mottenbrut an. „Wir sehen nicht ohnmächtig zu“, sagt Vogelsang. Das Wohl der Kastanien sei „eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft“.
Der Einsatz der Sozialhilfeempfänger ist auf sechs Wochen begrenzt. 30 sollten gestern am Eingang zur Hasenheide ihren Einsatzort erfahren und Laubrechen entgegennehmen. „Um 7 Uhr waren sieben Helfer da, erzählt Jürgen Gaser, Revierleiter „Neukölln Nord“ mittags im Stützpunkt des Gartenbauamts. Von hier aus zieht er die Fäden im Kampf gegen die Miniermotte. Um 8 Uhr war die Zahl der Helfer auf immerhin zehn gestiegen. Gaser schickte zwei Trupps zu Kastanien in der Hasenheide. Die anderen gingen zum Laubharken auf die Neuköllner Friedhöfe.
Das Bundessozialhilfegesetz ermöglicht den Einsatz von Sozialhilfeempfängern für solche, dem Allgemeinwohl zuträgliche Dienste. Bis zu sechzig Stunden im Monat muss ein Arbeitsfähiger ableisten, der auf Stütze lebt – für eine „Aufwandsentschädigung“ von 1,53 Euro pro Stunde.
„Die Sachbearbeiter im Sozialamt haben uns das so geschildert, dass die Angesprochenen gerne und freiwillig gekommen sind“, sagt Baustadträtin Vogelsang. Das zu hören überrascht Volker Rieß. Er ist einer der „freiwilligen“ Sozialhilfeempfänger. Gestern schaufelte er mit durchweichter Regenjacke auf der Wiese unter dem Denkmal von Turnvater Jahn Kastanienlaub in einen Container. In der Mittagspause im warmen Stützpunkt schiebt er den Brief vom Sozialamt über den Tisch. Wer sich weigere, „zumutbare Arbeit zu leisten“, steht darin, erhält 25 Prozent weniger Sozialhilfe.
Eine andere Helferin, die nicht mit ihrem Namen genannt werden will, musste damit rechnen, gar kein Geld mehr vom Sozialamt zu bekommen. Sie lächelt, wischt mit dem Arbeitshandschuh eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und harkt sorgsam weiter. Sie möchte lieber nicht darüber reden.
Das Neuköllner Modell könnte Schule machen. Auch andere Bezirksverwaltungen erwägen vergleichbare Aktionen. Insgesamt könnten rund 800 Helfer eingesetzt werden, schätzt Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD). Morgen will er auf einer Pressekonferenz über den weiteren Kampf gegen die Miniermottenplage informieren.
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