: Magenta ist vorbei
Elf Jahre lang hat Udo Bölts dem Team Telekom treu gedient, dann hat man ihn entlassen. Nun fährt er für Gerolsteiner – und sieht das auch als Chance
von FRANK KETTERER
Erst letzte Woche hat Udo Bölts in seinem Haus in Heltersberg klar Schiff gemacht, und als er damit fertig war, standen vor ihm vier große Umzugskartons, randvoll gefüllt mit allerei Trikots und sonstigen Sportutensilien, das meiste davon magentafarben. Bölts hat alles fein säuberlich in die Kartons verstaut, „ohne große Emotionen“ wie er sagt, und mit all den Leibchen und Hosen hat er auch ein Stück Vergangenheit weggepackt, ziemlich genau elf Jahre, so lange nämlich ist er als Angestellter des Team Telekom Radrennen gefahren, elf Mal allein die Tour de France. Bölts war der Arbeiter bei Telekom, der Helfer, das Mannschaftstier. Er hat immer 100 Prozent gegeben und manchmal ein paar mehr, er hat sich immer in den Dienst des Teams gestellt und eigene Interessen hintenan – und er hat Jan Ullrich zum Toursieg getrieben, 1997 war das, als der Telekom-Star eine Schwächephase hatte in den Bergen und Bölts ihn trotzdem die Serpentinen hinaufzwang mit den Worten: „Los! Quäl dich, du Sau!“ Der Satz ist längst Radsportlegende, und es gibt Fachleute, die behaupten, Ullrich hätte die Tour an diesem Tag tatsächlich verloren, wenn Bölts nicht dagewesen wäre, um diesen Satz zu sagen und ihn anzutreiben. Bölts, auch das sagen die Fachmänner, sei mit seiner absolut professionellen Einstellung das Herz des Team Telekom, seine Seele, elf Jahre lang war das so. Dann, diesen Juni, hat die Sportliche Leitung dem 36-Jährigen eröffnet, dass man ihn nicht mehr braucht und sein Vertrag nicht verlängert wird. Knall auf Fall, einfach so.
„Das war schon ein kleiner Knock-out“, sagt Udo Bölts. Sein letztes Rennen für die Telekom ist er am 26. August gefahren, dann legte ihn eine Schienbeinverletzung lahm. Bisher gab es noch nicht einmal Blumen oder ein paar warme Worte des Dankes zum Abschied, so wie man sie für jeden verdienten Mitarbeiter übrig hat, wenn er eines Tages geht. „Es war ein trauriger Abschied“, findet Bölts. „Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt.“ Freundschaftlicher. Wärmer. Menschlicher einfach. Dass die maßgeblichen Männer bei Telekom, allen voran Walter Godefroot und Rudi Pevenage, die Sportlichen Leiter, das nicht hingekriegt haben, liegt nun ein bisschen wie ein dunkler Schatten auf all den hellen Jahren, die Udo Bölts bei Telekom verlebt hat. Vielleicht hat er sie auch deshalb so schnell weggepackt in die Kartons. „Es ist erstaunlich, wie wenig am Ende bleibt“, sagt er.
Manchmal birgt so ein Ende ja auch einen neuen Anfang, bei Udo Bölts jedenfalls ist das so. Dass er noch ein, zwei Jahre weiterfahren würde, stand für den 36-Jährigen außer Frage, die Radelei macht dem Mann aus dem pfälzischen Heltersberg immer noch Spaß, wie er betont; an Mannschaften, die daran interessiert waren, ihn zu verpflichten, mangelte es auch nicht. Das Rennen gemacht hat schließlich das Team Gerolsteiner, seit dieser Saison GS-I-Team, also erste Liga. Wobei es natürlich schon noch so ist, dass das Team Telekom den FC Bayern München darstellt und Gerolsteiner eher den VfL Wolfsburg, was nicht heißen soll, dass man Bölts mit dem blonden Angeber aus der VW-Stadt vergleichen darf, das nun wirklich nicht. Aber Parallelen gibt es eben doch, das sieht der Heltersberger schon auch so, schon weil sich Gerolsteiner von ihm Ähnliches erwartet wie Wolfsburg von seinem Stinkefinger: den Aufbruch in neue Sphären.
„Er ist in der Lage, eine Mannschaft nach vorne zu bringen“, sagt Hans-Michael Holczer, der Teamchef bei Gerolsteiner. Und: „Seine Verpflichtung ist ein weiterer konsequenter Schritt auf dem Weg zur Etablierung des Teams als internationale Topmannschaft.“ Was nichts anderes heißen soll, als dass Bölts seinen neuen Arbeitgeber mitten hineinführen soll in die Champions League des Radsports. „Ich soll vielleicht der sein, der die anderen ein bisschen mitreißt“, umschreibt der 36-Jährige selbst seinen Job bei Gerolsteiner; dass er schon alle wichtigen Radrennen gefahren ist und ihre Tücken und Geheimnisse kennt wie kaum ein anderer, dürfte seiner neuen Mannschaft, die über so Klassefahrer wie Davide Rebellin und Gianni Faressin verfügt, überdies unbezahlbare Hilfe sein, gerade wenn das Team tatsächlich eine Einladung zur Tour de France erhalten sollte, was so unmöglich gar nicht ist.
Aber auch für Udo Bölts bietet Gerolsteiner eine Chance, er spürt das jetzt schon, jeden Tag. Der Kitzel ist wieder da, diese Spannung und diese Vorfreude, die man nur empfindet, wenn etwas Neues, Aufregendes beginnt. „Bei Telekom war doch vieles eingefahren“, sagt Bölts – und er im Laufe der Jahre doch ziemlich auf die Rolle des Domestiken beschränkt. „Wenn ich mal selbst Siegchancen hatte, habe ich sie nicht mehr so 100-prozentig genutzt“, erzählt der 36-Jährige – er war ja nur Helfer. Bei Gerolsteiner hingegen darf er durchaus auch einmal auf eigene Rechnung fahren, das ist sogar erwünscht. „Vielleicht“, sagt Udo Bölts, „war ich ja auch zu lange bei Telekom.“ Vielleicht hätte er die Kartons einfach das ein oder andere Jahr eher packen sollen.
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