piwik no script img

Vergesst Haider!

Einen Monat vor den Nationalratswahlen in Österreich sind Sozialdemokraten und Grüne in der Offensive. Das verdanken sie auch dem Wahlsieg von Schröder, Fischer & Co

Mit Blick auf Holland finden die Leute bestätigt: Mit rechten Chaotenparteien ist kein Staat zu machen

Die Zuschauer von Österreichs Hauptnachrichtensendung „Zeit im Bild 1“ hatten vergangene Woche ein Fernseherlebnis der nicht alltäglichen Art: „Der Mann, der Sie gestern noch von dieser Stelle begrüßte“, so eine eilig eingeflogene Ersatzmoderatorin, „hat heute für einen politischen Knalleffekt gesorgt.“ Der Ulrich Wickert des ORF, der beliebteste und anerkannteste TV-Kopf der Nation, Josef Broukal, hatte gerade bekannt gegeben, er werde als einer der Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten in die Nationalratswahl vom 24. November gehen.

Es war schon der zweite große Coup des SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer in der noch jungen Wahlkampagne. Ein paar Tage zuvor war bekannt geworden, dass der renommierteste Diplomat des Landes, Wolfgang Petritsch, die Wiener Landesliste der Sozialdemokraten anführen und im Fall eines Wahlsieges als Außenminister in Gusenbauers Regierung einziehen werde. Petritsch hat international Meriten zuhauf erworben: als UN-Botschafter in Genf, zuvor als EU-Kosovo-Beauftragter, Vermittler bei den Rambouillet-Verhandlungen oder als hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina. In dem von einem chronischen Minderwertigkeitskomplex geplagten Österreich gilt jemand, der weltweit Ansehen genießt, als „Vorzeigeösterreicher“ und ist faktisch fast über jede Kritik erhaben. Im Falle Petritsch, eines modernen, hemdsärmeligen Sozialdemokraten, der als junger Mann noch Bruno Kreisky als Sekretär diente, übrigens nicht ganz zu Unrecht.

Die beiden personellen Überraschungen sind auch ein Symptom: Die politische Szenerie in Österreich wird derzeit heftig durcheinander gewirbelt – mit wichtigen Folgen auch für andere europäische Staaten. Schließlich war das Land mehr als ein Jahrzehnt das Musterbeispiel für den Aufstieg des rechten Populismus. Jörg Haider galt als „Role Model“ für einen neuen Politikertyp. Hier wurde eine rechtspopulistische Partei mit extremen Elementen erstmals von einer traditionalistischen Christdemokratie in die Regierung gehievt. Hier dürfte nun der Rechtspopulismus von den Wählern erstmals in die Wüste geschickt werden.

Und noch ein Umstand weist über die allein lokalen Dimensionen hinaus: In fast allen Umfragen seit der Kernschmelze der ÖVP-FPÖ-Regierung vor rund eineinhalb Monaten liegt Rot-Grün, wenn auch knapp, voran. Zwar halten sich die Sozialdemokraten verbal alle Optionen offen, doch erlebt das Land de facto einen Lagerwahlkampf: Rot-Grün versus Schwarz-Blau. In Österreich ist mittlerweile realistisch, dass erstmals von den Wählern sehenden Auges eine rot-grüne Regierung ins Amt gewählt wird, noch bevor eine solche Farbenlehre – etwa auf lokaler oder Landesebene – erprobt wurde.

Es erweist sich dabei, dass Wählerpräferenzen in Zeiten einer zunehmenden binneneuropäischen politischen Kultur nicht alleine durch nationale Entwicklungen beeinflusst werden. Er habe, gestand Armin Thurnher, der Essayist und Chefredakteur der Wochenzeitung Falter jüngst, „die Wirkung des deutschen Wahlergebnisses auf Österreich unterschätzt“. Thurnher weiter: „Wäre Rot-Grün in Deutschland abgewählt worden, es wäre eine politische Episode geblieben. Weil die rot-grüne Koalition nun weiterarbeitet, hat sie endgültig die Gestalt einer politischen Alternative angenommen. Auch für Österreich.“

Es ist erstaunlich, doch nicht von der Hand zu weisen: Da Schröder und Fischer es am 22. September – wie knapp auch immer – geschafft haben, sieht in Wien die Lage heute so rosig aus wie lange nicht.

Wichtig nicht nur in Österreich ist: Das Publikum schaut nicht mehr bloß auf die eigenen Leute, sondern schielt mit einem Auge immer auch über die Grenzen. Jüngst zerbröselte die holländische Regierung am ewigen internen Zank der rechtspopulistischen Pim-Fortuyn-Liste. Das hat seine Implikationen, auch für den österreichischen Wahlkampf. Die Leute finden bestätigt, was sie irgendwie eh schon wissen: Wenn sie nach Deutschland blicken, dass man mit Rot und Grün ordentlich regieren kann; wenn sie nach Holland blicken, dass mit rechten Chaotenparteien kein Staat zu machen ist. Wie auch umgekehrt die Wahlkämpfer der Konservativen und Freiheitlichen in aufkeimender Panik ihr Heil in wilder Anti-Schröder-Fischer-Propaganda suchen: Rot-Grün würde Unglück über das Land bringen, man schaue doch nur nach Deutschland – dort bringen sie nicht einmal einen ordentlichen Haushalt zusammen, werden in diesem Jahr sogar an der magischen Maastricht-Marke von drei Prozent Defizit scheitern.

Da ist es durchaus folgerichtig, dass Schröder Ende dieser Woche als Stargast beim SPÖ-Sonderparteitag in Wien seinen Genossen zur Seite springt. Alfred Gusenbauers Sozialdemokraten, die sich seit einigen Wochen überraschend frisch präsentieren, klettern in den Umfragen langsam auf 40 Prozent. Den Freiheitlichen winken Erdrutschverluste. Waren sie 1999 mit 27 Prozent noch zweitstärkste Partei, könnten sie diesmal sogar hinter die Grünen auf den vierten Platz zurückfallen.

Natürlich ist gut vier Wochen vor der Wahl noch alles offen. Doch die Politik ist zurückgekehrt in dieses erst durch die große Koalition, dann durch den Aufstieg Haiders lange Jahre gelähmte Land. Diese Politisierung, eine Art Sehnsucht, zwischen Alternativen wählen zu können, die Renaissance starker politischer Energien, hatte sich schon bei Abschluss des Schüssel-Haider-Paktes im Frühjahr 2000 angedeutet, als Österreich eine massive Protestbewegung erlebte, wie sie kaum jemand für möglich gehalten hatte.

Selbstverständlich wäre es allzu großspurig, zu behaupten, hier entscheide sich nun das Schicksal Europas. Aber wenn Österreich das Laboratorium des Rechtsdrifts war, so hat jetzt auch das entgegengesetzte Momentum eine Dimension, die über die hiesige Innenpolitik im strengen Sinne hinausweist. Das nähere Europa sollte nicht in Desinteresse verharren. Schaut auf Österreich! Hier hatte die populistische Rechte ihren charismatischten Führer. Von hier aus ging die Botschaft: Die populistische Revolte ist eine europäische Gefahr. Nun könnte die neue Botschaft lauten: Der Populismus ist besiegbar und Rot-Grün nicht nur ein speziell deutsches Phänomen, sondern ein europäisches Modell.

Zwar halten sich die Sozen alle Optionen offen, doch das Land erlebt de facto einen Lagerwahlkampf

Dass dieses Signal ausgerechnet von Österreich ausgehen könnte, ist nicht ohne politische Komik. Jahrelang war die politische Szenerie blockiert. Vor nichts hatten die Österreicher mehr Abscheu als vor Experimenten. Hier war der urbane Modernismus eingekreist vom rustikalen Konservativismus und vom populistischen Ressentiment.

Zwei Jahre Schwarz-Blau haben das politische Feld völlig neu sortiert. Dessen längst fällige Modernisierung ist nun – buchstäblich und im doppelten Wortsinn – eine gute Möglichkeit.

ROBERT MISIK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen