: Der Weg nach Birdland
Die Karriere des Jazzmusikers Joe Zawinul verlief abseits ausgetretener Pfade. Nun gibt’s ein neues Album, eine Tournee sowie eine etwas selbstgefällige Biografie
von CHRISTIAN BROECKING
Wenn Zawinul in seiner Heimatstadt ist, dann bewohnt er eine Suite im 18. Stock des Hilton: mit Blick auf den Vorstadtbezirk, wo er aufwuchs. Den Titel „Rooftops over Vienna“ auf seiner neuen CD „Faces & Places“ hat Joe Zawinul dort komponiert, im Hotelzimmer – wie alle seine Stücke entstand auch dieses aus einer Improvisation heraus. Als er im Juli seinen 70. Geburtstag beging, kehrte Zawinul wieder einmal nach Wien zurück. Zur Feier kam der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil, mit dem Joe Zawinul schon seit der gemeinsamen Schulzeit befreundet ist, ins Wiener Rathaus, und der Wiener Oberbürgermeister überreichte dem Pianisten den Goldenen Ring der Stadt.
Die Karriere des Joe Zawinul ist bislang einmalig für einen deutschsprachigen Jazzmusiker, und Zawinul ist sich dessen immer sehr bewusst gewesen. In seinem Buch „Zawinul – Ein Leben aus Jazz“ zeichnet Gunther Baumann nun den Lebensweg des Pianisten in ausführlichen Gesprächen nach. Trotz der latenten Geschwätzigkeit und Wichtigtuerei, die Baumanns Fragen durchziehen, erhält der Autor Statements und Einsichten von Zawinul, die sich – nach der Miles-Davis-Autobiografie – zu einem der wesentlichen Oral-History-Bücher des modernen Jazz verdichten.
Alles begann Anfang der Fünfzigerjahre in Wien. Der Saxofonist Hans Koller – „Er war unser Godfather“ – hatte den wilden Wienern damals gesagt, wo’s langgeht. Lennie Tristano, Stan Getz und Lee Konitz waren die Heros jener Avantgarde. Bis dahin hatte auch Zawinul nur weiße Jazzmusiker gehört, Platten waren im Nachkriegs-Wien eh schwer zu bekommen. Doch „Jazz at the Philharmonic“ veränderte das Leben des Josef Zawinul: Er hörte Oscar Peterson und entdeckte den Unterschied zwischen schwarzem und weißem Ausdruck. „Wir wurden tatsächlich zu Rassisten“, sagt er rückblickend. „Wir wollten auf einmal nur noch die schwarzen Jazzmusiker hören. Ich habe den Film ‚Stormy Weather‘ gesehen und mich in Lena Horne verliebt. Später in New York habe ich mich in der Nähe schwarzer Frauen immer sehr wohl gefühlt: Sie hatten Geschmack und Soul und konnten total gut tanzen.“ Joe Zawinul hält nichts von den konjunkturellen Zwängen politischer Correctness. Für ihn war America immer Black. Nicht Negro, auch nicht African.
1958 ging der Wiener Pianist in die USA. Das erste längere Engagement hatte er bei der Sängerin Dinah Washington. „Ich habe mich nicht vorgedrängelt. Ich habe nur gewusst, dass der Jazz am besten von den schwarzen Musikern gespielt wurde. Aus der schwarzen Gemeinschaft kamen die Meistermusiker des Jazz. Und die haben mich dann in ihre Community aufgenommen, als wäre es ganz selbstverständlich. Mit ihnen habe ich das Jazzleben gelebt.“
Der Soul Jazz, der sich Mitte der Fünfzigerjahre bereits angekündigt hatte, war zunächst ein Schritt zurück gewesen und als solcher ein Signal: Vor allem in Kreisen schwarzer Musiker wurde in jenen Tagen sehr viel über die Richtung diskutiert, die der Jazz nehmen sollte. Bebop und West Coast, von dem Zawinul sich ja in Wien bereits verabschiedet hatte, schienen überholt oder zumindest erschlafft. Und einige empfanden, dass der Jazz sich entfernt, ja abgehoben hatte von seinen historischen Wurzeln: der schwarzen Kirche und Community. Dass ausgerechnet „Joe Vienna“ diesen Spirit dann in den schwarzen Jazz brachte, gehört zu den Ungereimtheiten der afroamerikanischen Musikgeschichte. Als einziger Weißer trat Zawinul im Ensemble von Dinah Washington im Apollo Theatre in Harlem auf.
„Soul Power“ wurde in jenen Jahren zum Synonym für ein neues Selbstbewusstsein: den Glauben an die eigene Kraft, an Veränderung und Fortschritt. Zu einer der wichtigsten Bands dieser Epoche entwickelte sich die des Saxofonisten Cannonball Adderley. Auf dem neuen, autobiografisch angelegten Zawinul-Album „Faces & Places“ findet sich die Komposition „The Spirit of Julian C. Adderley“ – eine Hommage an den afroamerikanischen Saxofonisten, der das Leben des österreichischen Pianisten grundlegend änderte.
In den Adderley-Bands nahmen die Pianisten immer eine Sonderrolle ein. Von 1961 bis 1970 garantierte Joe Zawinul die Klangfarbe und komponierte die großen Hits. Miles Davis, zu dem Zawinul danach wechselte, hat Cannonball immer für sein schwarzes Publikum beneidet.
Im Oktober 1969 traten die Adderleys mit Zawinul in einer Kirche in Chicago auf. Reverend Jesse Jackson, der spätere amerikanische Präsidentschaftskandidat, hatte im Rahmen der „Operation Breadbasket“ zu einem Wohltätigkeitsgottesdienst mit anschließenden Konzert gerufen. Die wie hier sonst nur selten gelungene Übereinstimmung von sozialem Engagement und Jazz ist auf der Adderley-Platte „Country Preacher. Live at Operation Breadbasket“ dokumentiert. Die Operation Breadbasket war eine kirchliche Organisation, die drei Jahre zuvor von Martin Luther King jr. ins Leben gerufen worden war, um Stipendien für bedürftige Talente in den schwarzen Communitys zu beschaffen. Diese Aufnahme, die mit einer Einführung von Jesse Jackson, „Walk Tall“, beginnt, ist das letzte große Statement des Soul Jazz der Sechzigerjahre.
In einem seiner letzten Interviews schilderte der im Januar 2000 verstorbene Kornettist Nat Adderley, wie seine Band zum Teil der Operation Breadbasket wurde: „Wir waren gerade in Indianapolis, etwa 200 Meilen von Chicago entfernt, als Cannonball vorschlug, an einem Samstagmorgen nach Chicago zu fahren, um diesen neuen Mann reden zu hören. Ich dachte zunächst, dass ich nicht so früh mit aufstehen würde, schließlich musste ich Freitagnacht spielen. Doch dann machten wir uns alle zusammen auf den Weg und hörten in Chicago den Reverend Jesse Jackson reden. Es war wirklich beeindruckend, wie er es beherrschte, seine Gedanken zu Bürgerrechtsfragen als Antworten zu formulieren. Der Funke sprang auf uns über, und so wurden wir zu einem Teil der Chicago-Community. Natürlich waren auch viele andere Leute anwesend, Footballspieler oder Filmleute – Jesse Jackson brachte sie alle zusammen. Bei so einer Gelegenheit machten wir die Aufnahme.“
Dem Freund Jesse Jackson widmete Joe Zawinul auch die Kompositionen „Country Preacher“ und „Walk Tall“, die beide zu Hits für die Adderley Band wurden. „Die Kirche in Chicago war immer sehr voll. Ein ganz anderer Spirit als in den deutschsprachigen Kirchen: Immer Musik und politische Besprechungen, und anschließend treffen sich die Leute und gehen gut essen, Soulfood. Die Leute sind fein angezogen: hart arbeitende Menschen, die sich am Sonntag etwas unterhalten wollen“, weiß Zawinul zu berichten.
Doch es gab nicht nur Beifall für den weißen Pianisten. Die Black Muslims hatten Cannonball Adderley damals nahe gelegt, einen schwarzen Klavierspieler zu engagieren. „Cannonball sagte ihnen: Wenn ihr mir einen bringt, der so gut ist wie Joe, dann ist er in der Band“, erinnert sich Zawinul. „Aber ich habe den Unmut der Schwarzen sehr gut verstanden. Wenn ich früher mit der Band durch den Süden gefahren bin, habe ich in den Häusern der schwarzen Familien geschlafen. Aber hätte man mich mit den anderen Musikern zusammen gesehen, dann hätten das die Bauern da unten nicht verstanden: Es hätte womöglich mein Ende bedeutet. Also versteckte ich mich hinten im Auto, sonst hätten die uns gelyncht. Ich habe dieses rassistische Klima wirklich gehasst.“
Mit „Mercy, Mercy, Mercy“ schrieb Joe Zawinul 1966 einen Top-Ten-Hit und die Soul-Hymne für das E-Piano; damals spielte er es auf einem elektrischen Wurlitzer-Piano. Das Stück wurde zum Erkennungsstück der Adderley Band, zeitweilig war es sogar ein politischer Message-Song. „Wir haben damals allein über eine Million Singles mit dem Stück verkauft. Der Lebensstil meiner Familie hat sich daraufhin verändert, aber nicht der Charakter.“
Im New Yorker Jazzclub Birdland hatte Zawinul schon ganz zu Anfang seine Ehefrau Maxine kennen gelernt, mit der er heute immer noch zusammen ist und drei Söhne hat. Sie war einst das erste schwarze Bunny für Hugh Hefners Playboy-Club gewesen. „Birdland“ wurde später zu einem Hit, den Zawinul für die gemeinsame Band mit dem Saxofonisten Wayne Shorter schrieb. Doch Weather Report, in den Siebzigerjahren immens erfolgreich, überlebte den Boom der jungen schwarzen Neotraditionalisten nicht, die Anfang der Achtziger die Szene betraten. Da hilft es auch nichts, wenn Zawinul heute sagt, dass Fusion eigentlich musikalischer „Dreck“ ist, Weather Report dagegen anders und genial gewesen sei. Seine damalige Plattenfirma Columbia setzte alles auf die Wynton-Marsalis-Karte und kreierte ein Markenprodukt, das heute jeder kennt.
Dass der neotraditionalistische Rollback im Jazz nach zwanzig Jahren jetzt endlich zu Ende geht, registriert Zawinul mit großer Genugtuung. Wynton Marsalis sei halt ein Musiker, aber kein Musikant, meint Zawinul: keiner von den Typen, die eine Vision haben und genügend Talent und Soul, diese auch umzusetzen.
Erst kürzlich ist Zawinul wieder von New York nach Malibu umgezogen. Er sagt, dass das wohl der letzte große Umzug in seinem Leben gewesen sei. Ertrinkt gerne Slibowitz und isst am liebsten Backhendl. Zum Ausgleich boxt er, joggt und schwimmt. Dass er den Bassisten seiner Band Weather Report, Jaco Pastorius, einst zum Alkoholiker gemacht haben soll, ist wohl nicht nur böse Unterstellung. Dem Buchautor Baumann versichert Zawinul, dass er hart im Nehmen sei. Einziges Manko der Zawinul-Lektüre: Öffentliche Selbstzweifel kennt der Mann nicht. Dafür hat er den Zusammenhang von Identität und Talent geklärt: Talent sei eine genetische Erinnerungsbank. Oder, wie sein Freund Wayne Shorter sagt, ein „kultureller DNA-Code“.
Gunther Baumann: „Zawinul – Ein Leben aus Jazz“. Residenz Verlag 2002. Joe Zawinul: „Faces & Places“ (ESC/EFA). 7. 11. Leverk., 8. 11. Aalen, 10. 11. Bremen, 11. 11. Zürich, 18. 11. Wien
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen