piwik no script img

My little Boney M.

Seit zehn Jahren machen Toktok Techno zwischen Gabba und Elektro-Dancefloor. Mit Sängerin Soffy O. geben sie nun das muntere Popstar-Trio, mit dem man sich von Viva bis Cookies identifizieren kann. Doch der rebellische Breakbeat ist geblieben

von CHRISTOPH BRAUN

Noch macht es ihnen Spaß. Sie wirken müde, als sie nach und nach in dieses total unszenige Café irgendwo in Mitte hereinschlurfen. Seit Wochen sind TokTok vs. Soffy O. nämlich unterwegs. Ein Debütalbum-nach-Überraschungshit braucht ordentlich Promo-Power. Benjamin Weiss aka Nerk ist ein sympathischer Organisatortyp im Wollpulli. Verschnupft hält Fabian Feyerabendt Einzug, ein Diodenrocker mit trainierten Armen.

Noch stärker erwischt hat es die aus Schweden hergezogene Sofia Larsson Ocklind. Dick eingemummt erscheint sie zum Interview. Das gehört zum Spiel, das TokTok vs. Soffy O. zur Zeit spielen. Und dieses Spiel heißt „My Boney M.“ – Elektropop produzieren sie für möglichst viele, die Single ist ihr Format. Anders als bei Frank Farians gecasteter Discotruppe aber kommen sie aus einer über Clubs kommunizierenden Spezialisten-Szene. Für Stars dieser Tage aber gilt: Man spricht die früheren Weggefährten ebenso an wie den Scooter-Hörer. Für dich, Checker, für dich persönlich, und für alle, die das eigentlich nicht verstehen, auch.

„Missy Queen’s Gonna Die“ ist im Herbst 2000 auf Ellen Aliens Label Bpitch Control erschienen. Es gehört zu den Stücken, die nichts an Glanz verlieren. Der wird im Falle von „Missy Queen“ ausgestrahlt per raffiniert produzierten HiHats und Handclaps, die dem stumpfen Elektrobass so lange den nötigen Funk geben, bis das ganze Treiben zwingend wird. Darüber drapiert Soffy ihre durchrhythmisierten, im Ton leicht abweisenden Gesangparts. Selbst wenn sie über Sixpacks singt, schwingt noch eine diffuse Aggression mit. Im letzten Jahr wurde „Missy Queen“ von der Musikindustrie entdeckt, ein Video vom Berliner Splatter-Fachmann Jörg Buttgereit gedreht – fertig war ein kleiner Hit. Mittlerweile haben Toktok vs. Soffy O. für die CD-Version des selbstbetitelten Albums einen Vertrag mit dem Warner-Label EastWest abgeschlossen. Von 0 auf 33 ist es am Tag des Interviews in die deutschen Charts eingestiegen.

„Fabian wollte in die Bravo“ erzählt Soffy lachend über die Motivation des Trios, als es Anfang 99 mit der gemeinsamen Arbeit begann. Ex-Frontpage-Redakteur und De:Bug-Mitarbeiter Weiss schränkt den Pop-Ehrgeiz lediglich mit Achselzucken ein und einem hinterhergeworfenen: „Das hat er schon zu Gabba-Zeiten gesagt“. Kennen gelernt haben sie sich über Minitchev, eine der verflossenen Hausbands der Galerie berlintokyo. Zu der Zeit hat Soffy, die zum Studieren nach Berlin kam, im Roten Salon gearbeitet und nebenbei Off-Theater gespielt. Als Sängerin hat sie sich eigentlich nie gefühlt. Und auch beim Schauspielern trat schnell ein kaum auszubügelndes Manko auf: „Ich habe schreckliche Bühnenangst, meine Knie fangen regelmäßig an zu zittern.“

So wurde sie von den beiden Toktoks fast dazu gezwungen, auf der Release-Party des Toktok-Albums „Run Stop Restore“ die paar Gesangparts beizusteuern, die man vorher kurz mal im Studio durchgeprobt hatte. Danach haben sie Soffys Namen einfach auf den Flyer geschrieben, ohne groß zu fragen.

Das dreiste Werbemittel hat die neue Phase einer langen Geschichte eingeleitet. Seit 1993 gehören Weiss und Feyerabendt zum Toktok-Kollektiv, als Bestandteil der selbstorganisierten Techno-Landschaft Berlins. Im Shizzo-Tempel in der Rigaer Straße haben sie Partys veranstaltet. Auch Namen wie der Friseur als früherer Experimentierclub fallen, wenn die Toktoks über ihre Vergangenheit reden. „Dort haben wir unter dem Etikett ‚Krauttok‘ einmal 24 Stunden am Stück live gespielt. Das war so hart, dass wir in der letzten Stunde nur noch einen Loop laufen ließen. Aber voll war’s“, berichtet Benjamin Weiss aus den Tagen.

Mittlerweile haben sich Anton Waldt und C 14 zurückgezogen. Bis heute dagegen dabei ist Stefan Küchenmeister, der bei den Club- und Liveauftritten Toktoks in ganz Europa das DJ-Set besorgt. Im Studio produzierten sie Techno von Elektroidem bis Gabba, den sie dann auf eigenen Labels wie Gema oder Parsek in Umlauf brachten. Ein modisches Etikett wie „Electroclash“ ist vor dem Hintergrund dieser Geschichte diskussionsunwürdig.

Mit dem Erfolg von „Missy Queen …“ sind dennoch neue Bewährungsproben gekommen. Auf den German Dance Awards sind sie neben dem Safri Duo und Blank & Jones ausgezeichnet worden. Als erste Promotionaktion fürs Album spielten sie auf dem Kölner Ringfest vor 6.000 bierseligen Teens, von denen sie prompt ausgebuht wurden. Den Videos, Fotos und der Art und Weise, wie sich Toktok vs. Soffy O. geben, merkt man die distanzierte Neugier und auch den Spaß am Starspielen trotzdem an. Auf die tolle Single „Day Of Mine“ folgt bald „Jean“. Es basiert auf einem Boney-M.-Sample.

Toktok vs Soffy O.: dito (Eastwest/Warner)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen