: „Dieser Zwischenfall“
Bruder Jakob? Keine Bedeutung für katholisches Mariendogma
taz: Herr Beinert, wenn das jetzt so stark diskutierte Ossarium vom „Bruder von Jesus“ authentisch ist – widerspricht dieser Fund nicht dem katholischen Dogma, wonach Maria zeit ihres Lebens Jungfrau geblieben ist?
Wolfgang Beinert: Ob es authentisch ist, das müssen Historiker herausfinden. Gesetzt den Fall, es ist authentisch: Dann würde sich gar nichts ändern.
Warum nicht?
Die Namen auf der Urne, Joseph, Jakob und Jesus, waren damals gängige Namen – man findet sie auf vielen Ossarien. Es gibt sogar eines mit der Inschrift: „Jesus, der Sohn von Joseph und Maria“. Das hat trotzdem mit dem Jesus von Nazareth nichts zu tun. Es sagt nicht, ob darin ein Bruder Jesu lag. Außerdem: Im Neuen Testament läuft ein Verwandter Jesu, der Jakobus heißt, unter dem Namen „der Herrenbruder“. Das war eben der Name, den er hatte. Welche reale Verwandtschaftsbeziehung er zu Jesus hatte, das bleibt offen.
Warum hat sich die katholische Kirche dennoch dazu entschlossen, die Personen, die im Evangelium als Geschwister Jesu bezeichnet werden, immer nur als Cousins zu werten?
Zum einen weil das sprachlich und logisch möglich ist. Im Aramäischen, der Sprache Jesu und seiner Leute, gibt es keinen philologischen Unterschied zwischen „Bruder“ und „Cousin“. Ähnlich ist es im Deutschen: Wenn ich sage „meine Tante“, weiß man nicht, ob ich die Schwester meines Vaters oder meiner Mutter meine. Zum anderen lässt sich aus dem Neuen Testament weder die Jungfräulichkeit Marias beweisen – noch das Gegenteil. Die Kirche hat also eine Glaubensentscheidung getroffen.
Was wollte sie damit sagen?
Sie wollte damit herausstellen, dass die Erlösung durch Jesus von Nazareth ein reines Werk Gottes ist, das sich keiner menschlichen „Leistung“, nicht einmal der der Zeugung durch einen Mann verdankt, sondern Gott allein. Eine Neuschöpfung in Solidarität mit der alten Schöpfung: ohne einen Mann, aber mit Maria. Die Aussage der Kirche ist nicht in erster Linie eine gynäkologische, sondern eine theologische Aussage.
Warum aber ist es für die Kirche so wichtig, dass Maria auch nach der Geburt Jesu Jungfrau blieb? Das sagt doch nichts mehr über Jesus aus.
Man muss dabei davon ausgehen, was Jungfräulichkeit ist: Wir sehen das immer nur in Bezug auf Sexualität. In erster Linie aber ist Jungfräulichkeit eine Haltung, die im Grunde jedes Mädchen hat: Sie legt sich nicht mit jedem ins Bett, sondern wartet auf den Mann ihres Lebens. Jungfräulichkeit ist eine Enthaltung aus einer Haltung heraus. Wie bei Maria: Sie wollte eine Ehe eingehen, sie war verlobt mit Joseph, aber dann kommt eben dieser Zwischenfall – in der Gestalt des Engels nach Aussage des Neuen Testaments. Maria erkennt: Gott verlangt sie ganz und gar. Und sie gibt sich Gott geistig ganz und gar hin: total. Wenn sie das Wort „total“ in die Sprache der Zeit übersetzen, dann haben Sie „immer“. Auch heute: Ob man sagt „ich bin dir total treu“ oder „ich bin dir immer treu“, läuft auf das Gleiche hinaus.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
Wolfgang Beinert (69), Professor em. für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Uni Regensburg, ist einer der bekanntesten Mariologen Deutschlands.
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