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Aktion gelungen, Geiseln tot

Bei der Befreiungsaktion im Moskauer Musicaltheater sterben 117 Geiseln. Todesursache in beinahe allen Fällen ist der eingesetze Kampfstoff. 45 Opfer schweben noch in Lebensgefahr

MOSKAU/BERLIN afp/dpa/taz ■ Bei der gewaltsamen Beendigung des Moskauer Geiseldramas durch russische Spezialeinheiten sind 115 der 117 ums Leben gekommenen Geiseln durch das eingesetzte Gas getötet worden. Die Menschen seien durch eine Narkosesubstanz vergiftet worden, sagte der Moskauer Chefarzt Andrej Seltowski am Sonntagabend. Seltowski korrigierte damit frühere Angaben, wonach nur eine der Geiseln durch Schussverletzungen getötet wurde. Bei der Aktion sei ein übliches Narkosegas eingesetzt worden, das jedoch in Überdosis zu „Störungen der Körperfunktionen“ wie Bewusstlosigkeit und Kreislaufversagen führen könne, erklärte der Chefarzt. Die russischen Behörden weigerten sich zunächst, Auskunft über das Gas zu geben, das am Samstagmorgen nach 57-stündigem Nervenkrieg in das von tschetschenischen Rebellen besetzte Theater geleitet worden war. Bei der anschließenden Stürmung wurden rund 50 tschetschenische Rebellen getötet. 646 der insgesamt rund 800 Geiseln waren am Sonntag noch im Krankenhaus. 150 der Opfer wurden auf Intensivstationen behandelt, 45 schwebten in Lebensgefahr. Experten hatten zuvor nicht ausgeschlossen, dass in Moskau ein bislang unbekannter Kampfstoff eingesetzt worden ist.

Die USA forderten von Moskau Aufklärung. Eine US-Bürgerin unter den Geiseln liege im Krankenhaus, sagte ein US-Botschaftssprecher in Moskau. Für ihre Behandlung sei es wichtig, das von ihr eingeatmete Gas zu kennen. Auf eine entsprechende Anfrage hätten die russischen Behörden noch nicht geantwortet, kritisierte der Sprecher.

Der Kreml hüllte sich konsequent in Schweigen. Zwar trat Präsident Wladimir Putin am Samstagabend mit einer bewegenden Rede, in der er die Angehörigen der Opfer um Verzeihung bat, an die Öffentlichkeit, doch herrschte danach auf allen offiziellen Kanälen in Moskau Totenstille. Lediglich das bis dahin unbeteiligte Gesundheitsministerium wurde eingeschaltet, aber nur, um die neuesten Zahlen der Todesopfer mitzuteilen.

Die Moskauer Behörden hatten sich nach eigenen Angaben am frühen Samstagmorgen laut Krisenstab zum Sturm auf das Gebäude entschlossen, nachdem die Rebellen nach Ablauf des dreitägigen Ultimatums mit der Hinrichtung der seit Mittwochabend festgehaltenen Geiseln begonnen hatten. In einem etwa eine Viertelstunde dauernden Feuergefecht seien die meisten Geiselnehmer erschossen worden, unter ihnen ihr Anführer Mowsar Barajew.

Ein Mitglied der russischen Spezialeinheit sagte der Zeitung Moskowski Komsomolez, die Truppen hätten vor Beginn ihres Einsatzes mit bis zu 150 Todesopfern unter den Geiseln gerechnet. Der Elitesoldat wertete die Aktion als Erfolg: „Aus unserer Sicht lief alles nach Plan.“ Die Truppen hätten den „psychologischen Krieg“ gegen die Geiselnehmer gewonnen. Die Spezialeinheit habe das Gerücht gestreut, dass ein Angriff für 3 Uhr morgens geplant sei. Als dann nichts passierte, habe die Aufmerksamkeit der Geiselnehmer nachgelassen. Zwei Stunden später sei das Gebäude gestürmt worden. WG

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