: Der Professor, der aus dem Koffer lehrt
Sie ist eine Art akademischer Schleudersitz – oder ein Sprungbrett, ganz wie man es sehen will: die Juniorprofessur. Patrick Hostert hat seit zwei Monaten einen solchen Lehrstuhl auf Bewährung an der Humboldt-Uni. Der Stress ist groß, das Engagement noch frisch und der Koffeinbedarf enorm
von HANNO CHARISIUS
Kaffee ist Patrick Hosterts Lebenselixier. Ohne geht gar nichts. Und die Koffeinversorgung an seinem neuen Arbeitsplatz ist leider katastrophal, ein anständiges Café fehlt ihm hier im Geographischen Institut der Humboldt-Uni. Mit leidvoller Miene bietet er seinem Besuch Instantpulver und heißes Wasser an. Abgesehen vom Mangel an Frischgebrühtem ist er hier in seinem kleinen Zimmer im fünften Stock, das er vor zwei Monaten bezogen hat, rundum zufrieden. Auf dem Raumplan unten im Treppenhaus steht bereits sein Name. Die Buchstaben JP dahinter kennzeichnen Hostert als einen von zurzeit 28 Juniorprofessoren an der HU; das sind die Profs auf Probe.
Patrick Hostert ist nach Berlin gekommen, „um etwas Neues mitzutragen“, obwohl er in seiner Heimatstadt Trier noch vier Jahre lang einen sicheren Job gehabt hätte, eine Habilitationsstelle. Stattdessen ließ sich der 34-Jährige auf einer Art akademischem Schleudersitz nieder – oder bestieg ein Sprungbrett, ganz wie man es sehen will. Denn die Juniorprofessur ist eine noch ungetestete Erfindung der Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, mit der sie frischen Wind in die Hochschullandschaft bringen will. „Niemand hat bisher Erfahrungen mit diesen Jobs“, sagt Hostert. Das findet er aufregend.
Der bisherige Weg zum Lehrstuhl auf Lebenszeit – die Habilitation – wird nach Bulmahns Plänen bis 2010 abgeschafft. Danach soll der akademische Nachwuchs auf befristeten Stellen sein Talent unter Beweis stellen. „Meine Arbeit wird nach dreißig Monaten bewertet“, erklärt Hostert. Bekommt er schlechte Noten, muss er innerhalb von sechs Monaten seine Koffer packen. Gute Beurteilungen bringen die Verlängerung um weitere drei Jahre. Danach kann er sich ohne die bisher notwendige Prüfung und ohne eine weitere Dissertation auf Lehrstühle bewerben.
Das Arbeitspensum der Professoren auf Bewährung ist enorm. Sie müssen im Alleingang 4 Stunden pro Woche unterrichten, Drittmittel einwerben, Projekte skizzieren, Diplomanden und Doktoranden betreuen, selbst forschen und in den Hochschulgremien Entscheidungen treffen. „Seit ich hier bin, nehme ich oft den Laptop mit nach Hause“, erzählt der Geoinformatiker Hostert. Oft sitzt er auch schon morgens, bevor er ins Büro kommt, am Rechner. Er liebe seine Arbeit zwar „wie ein Hobby“, aber sie bedeute ihm nicht alles. Dennoch lebt Hostert noch immer aus dem Koffer. Wohnungssuche dauert.
Trotz Stress im Neuland bereut Hostert nicht, dass er sich vom klassischen Weg veranschiedete und ins kalte Wasser der Juniorprofessur sprang. „Ich wurde hier am Institut herzlich empfangen“, berichtet er, beeindruckt von seinen ersten Tagen in Berlin. Auch die Verhandlungen vor seiner Berufung waren erfreulich für ihn verlaufen: Die Uni stockte das vom Forschungsministerium festgelegte Erstausstattungbudget von 76.000 Euro pro JP auf und gewährte ihm zwei Hilfskraftstellen. Jetzt sucht er per Aushang an seiner Bürotür bereits die ersten Mitarbeiter, um „multitemporale Satellitendaten“ auszuwerten.
So viel Glück hatten nicht alle Kollegen, das weiß auch Hostert. Über ein E-Mail-Forum tauscht er Erfahrungen mit Jungprofessoren in ganz Deutschland aus. „Einige wurden von ihrem Fachbereich zu acht Stunden Unterricht pro Woche verdonnert.“ Offiziell belaufen sich die Lehrverpflichtungen anfangs auf vier, später auf sechs Semesterwochenstunden. „Andere Kollegen erkundigen sich in dem Forum nach den Berufungsverfahren der anderen und wollen wissen, wie so was läuft“, erzählt Hostert weiter.
Fast alle Juniorprofs haben Probleme mit dem Geld. Das Budget für die Erstausstattung wurde den Unis flott vom Forschungsministerium überwiesen. Die Juniorprofessoren müssen es nur sehr rasch ausgeben, sonst geht es verloren. Ein Übertrag auf das nächste Jahr ist nicht drin. Das zumindest kümmert Hostert nicht mehr. Sein Budget ging für Computer, ein mobiles Messinstrument und riesige Satellitendatenpakete drauf.
Im Moment widmet sich der Geoinformatiker mit Begeisterung seiner Lehrtätigkeit. Er hält eine Vorlesung und veranstaltet dazu ein Begleitseminar. Viel Arbeit für einen Berufsanfänger. „Die Vorlesungen sind mit den übrigen Professoren abgestimmt“, erzählt Hostert, „den Rest mache ich selbstständig.“ Das Gleiche gilt für seine Forschungsvorhaben. Er wertet Satelliten- und Bodendaten aus und versucht so, den Gesundheitszustand Berlins zu diagnostizieren.
Gerade Jungprofessoren in den Naturwissenschaften sind auf enge Kooperationen mit den bestehenden Arbeitsgruppen am Lehrstuhl angewiesen. Maschinen oder teure Messinstrumente kann sich keiner seiner Kollegen leisten, es sei denn, er schafft es, eine Drittmittelfinanzierung anzuschieben. Die Geisteswissenschaftler hätten es da leichter, sagt Horstert.
Seiner Zukunft sieht Hostert sehr gespannt entgegen: „Auch wenn die Dreijahresevaluierung positiv ausfällt, ist das keine Garantie für eine Festanstellung.“ Anders als viele seiner Kollegen hat er nicht vor, den klassischen Habilitationsweg parallel zu seiner Juniorprofessur zu beschreiten. Grob geschätzt jeder Zweite – bei den geisteswissenschaftlern liegt der Anteil höher – setzt auf diese Doppelstrategie, weil ihm der modernisierte Lehrpfad nicht sicher genug erscheint.
Das mangelnde Vertrauen in die akademische Bewährung mag daran liegen, dass der neue Weg unter Hochschullehrern umstritten ist. Der Hochschullehrerverband bezeichnet das Konzept als „misslungen“. Mit solchen Äußerungen disqualifiziere sich das Gremium, hält Hostert dagegen, „das ist Besitzstandswahrung“. „Keine Reform, die vieles umwirft, ist perfekt.“
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