: Islamisten werben an der TU
Die panislamische Partei Hisb-ut-Tahrir wirbt in der Alten Mensa um Mitglieder und Mitstreiter zur Gründung des Kalifatsstaats. Das Studentenwerk weiß von nichts. Der Verfassungsschutz horcht auf
von CEM SEY und ADRIENNE WOLTERSDORF
Angst vor unerwünschtem Publikum scheinen sie nicht zu haben. Schon bei der Anti-Irakkriegs-Demo am Samstag sprachen Aktivisten der Hisb-ut-Tahrir, einer Organisation, die den Kampf der muslimischen Weltgemeinschaft insbesondere gegen Israel und die USA propagiert, auch deutsche Journalisten an. Mit Worten und Flyern warben sie für ihre öffentliche Vortragsveranstaltung am Sonntag abend in der Alten TU-Mensa.
„Der Irak – ein neuer Krieg und die Folgen“ lautete das Thema, zu dem offiziell die Hochschulgruppe Kultur und Wissenschaft (Aqida) eingeladen hatte. Auf dem mit Suren-Kalligrafie dekorierten Podium sprach der österreichische Ingenieur Shaker Assem, 38, Mitherausgeber des Magazins Explizit, eines „politischen Magazins für islamisches Bewusstsein“. Shaker, Aktivist der Hisb-ut-Tahrir, „Partei der Befreiung“, kritisierte zunächst die gegenwärtige Anti-Irak-Politik der Vereinigten Staaten. In einem Exkurs widmete sich der Islamist dann beispielhaften Ungerechtigkeiten des kapitalistischen westlichen Systems, um anschließend zum Hauptthema zu gelangen: dem Aufruf zur Gründung des lang ersehnten Kalifatsstaates.
Rund 400 Frauen und Männer, durch die Sitzordnung von einander getrennt, zeigten anschließend mit Beifall ihre Zustimmung. Unter den Zuhörern der panislamistischen Organisation, die in Deutschland vor allem an Universitäten aktiv ist, befanden sich auch der NPD-Vorsitzende Udo Voigt und Rechtsanwalt Horst Mahler. Voigt bedankte sich in der Diskussion für „die offenen Worte“, warnte jedoch das Podium, dass „Deutschland kein freies Land“ sei. Das letzte Mal, als „Deutschland und Japan versucht haben, ihren eigenen Weg zu gehen, sind sie zerstört worden“.
Shaker, Dozent für Maschinenbau in Wien, attestierte den USA eine „klare Feindschaft gegenüber dem Islam“; das seien die wahren Hintergründe für den geplanten Krieg. In seinen antiamerikanischen Ausführungen zitierte Shaker auch Ussama Bin Laden. Der habe zum Kampf gegen die Hegemonie der USA gesagt: „Nicht mit dem Schwanz sollen wir uns abgeben, sondern gleich mit dem Kopf.“ Das sei falsch, sagte Shaker, um sich von Bin Laden zu distanzieren. Zum Kampf gegen den Feind benötige der Islam allerdings „eine aufrechte Basis“, in einem islamischen Staat. Die könne nur der Kalifatsstaat sein, „den zu gründen für uns Muslime eine Pflicht wie das tägliche Gebet ist“. Wann und wo, das wisse allein Allah.
Shaker betonte, seine Partei sei zwar gegen Gewalt. Doch die Gründung des Kalifatsstaates würde durch eine Revolution in einem der existierenden islamischen Staaten erfolgen. „Diese Regenten müssen weg, ich rufe dich auf, Bruder!“, rief Shaker einem Diskutanten zu. Die Weltgemeinschaft der Muslime müsse sich in einem Gottesstaat zusammenschließen, „um danach die Lehre des Islams überall auf der Welt zu verkündigen“.
Zwar gab sich Shaker in der TU-Mensa nicht offen antisemitisch, doch die Homepage der Organisation verkündet, dass „die Juden ein Volk der Lügen, des Verrats“ sind, ein Volk, „das Abkommen und Verträge bricht. […] Sie töten Propheten und Unschuldige und sind die größten Feinde der Gläubigen. Allah untersagt uns, sie zu Freunden zu nehmen.“ Das Magazin Explizit wirft Israel zudem vor, eine systematische „ethnische Säuberung“ unter den Palästinensern durchgeführt zu haben. In einer am Sonntag kostenlos, ausschließlich auf Türkisch verteilten Broschüre werden Muslime außerdem gewarnt, dass das westliche demokratische System keinen Platz in der Ordnung des Islams habe. Eine Beteiligung von Muslimen daran sei somit haram, Sünde.
Beim Studentenwerk, das die Räume der Alten Mensa verwaltet, gab man sich überrascht. „Im Vorfeld war für uns nicht ersichtlich, um welche Art Veranstaltung es sich handelt“, hieß es aus der Pressestelle. Beim Berliner Verfassungsschutz ist die Hisb-ut-Tahrir bislang nur als „verbal-radikal“ bekannt. Die im letzten Verfassungsschutzbericht noch nicht erwähnte Organisation ist jedoch nach Auskunft des Amtes „für uns jetzt ein Thema“. Bislang hätten Berliner Aktivisten nach Kenntnissen des Staatsschutzes lediglich Flugblätter verteilt.
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