: Dein Code ist so verdammt elegant
Eine Internet-Ausstellung des Whitney-Museums zeigt neue Netz- und Softwarekunst. Herausgekommen sind Arbeiten, die Nerds lieben können. Statt kritischer Hinterfragung des Materials ist Pfiffigkeit zu konstatieren
Computercode wird gerne mit Musikpartituren verglichen. Und so wie Musiker die Noten lesen, so lesen auch Programmierer den Programmcode. Für Nichtmusiker ist es allerdings meist wenig erhellend, Noten zu lesen, und demjenigen, der nicht programmieren kann, nützt es ebenfalls nichts, wenn er den Code eines Programms zu lesen bekommt.
Diese einfache Einsicht ignorierend, hat das New Yorker Whitney-Museum nun eine Ausstellung mit zwölf Computer- und Netzkunstarbeiten zusammengestellt, bei der nicht nur die Werke selbst, sondern auch deren Quellcodes gezeigt werden. „CODeDOC“ heißt die Online-Ausstellung, die zur Zeit auf der Website des Museums zu sehen ist. Zusammengestellt wurde sie von Christiane Paul, die seit einiger Zeit online wie offline sehr verdienstvolle Ausstellungen mit digitaler Kunst für das Whitney kuratiert.
Wer eine der Arbeiten anklickt, bekommt zunächst eine Website mit einer Buchstabenwüste geliefert – das ist der Computercode, der „hinter“ dem jeweiligen Werk steckt. Erst dann kann das Kunstwerk selbst besichtigt werden. Das macht die Ausstellung vor allem für diejenigen zu einem Vergnügen, die es verstehen, Codebrocken wie die folgenden zu lesen: „difH = abs(startH - averageH) difV = abs(startV - averageV) pDiameter = sqrt((difH*difH) + (difV*difV))“. Für Nicht-Geeks bietet die Enthüllung des Quellcodes wenig Erhellendes. Kevin McCoy hat wenigstens jeden einzelnen Befehl des Codes kommentiert, damit auch Leute, die nicht seit ihrem zwölften Lebensjahr in Lingo programmieren, eine Ahnung davon bekommen, was sich hinter den Befehlen verbirgt. Ansonsten malt sein Programm „Circler“ von selbst immer neue Kreise – na ja, wenn’s ihm Spaß macht.
Ähnlich selbstgenügsam produzieren auch die Arbeiten von Mark Napier, Camille Utterback, Scott Snibbe und Martin Wattenberg abstraktes Eye candy, das stark an die Computerkunst der Sechzigerjahre erinnert. Was man mit ein paar Programmiertricks auch machen kann, zeigt die amüsante Arbeit „Axis“ von Golan Levin, bei der man nach eigenem Gutdünken „Achsen des Bösen“ aus allen Ländern der Erde zusammenstellen kann. Mexiko, die USA und Kanada wären zum Beispiel die „Achse der Öl produzierenden, Cannabis kultivierenden, von den USA Waffen kaufenden Nuklearmächten“.
Doch trotz einiger gelungener Arbeiten wie dieser hinterlässt „CODeDOC“ einen faden Nachgeschmack: Denn die Ausstellung zeigt auch, wie aus dem Hype um „Software-Kunst“, der seit zwei oder drei Jahren durch die Medienkunstszene geistert, schnell ein ödes Abfeiern technischer Virtuosität geworden ist, bei der Ideen und Inhalte zweitrangig sind. Was als kritische Intervention in eine wichtige gesellschaftliche Produktivkraft, nämlich Computerprogramme, begonnen hat, ist hier nur noch ein weitgehend sinnfreies Vorführen von Programmierer-Know-how, zu dem sich die Teilnehmer des Ausstellung gegenseitig beglückwünschen dürfen: Auf der Website von „CODeDOC“ haben einige der Künstler Kommentare zu den Arbeiten ihrer Kollegen hinterlassen, und da schreibt zum Beispiel Scott Scribe über die Arbeit von Golan Levin: „Dein Code ist sehr elegant.“
Dass sich eine Reihe von Programmiererkünstlern gegenseitig connaisseurhafte Komplimente zu besonders gewitzten Codezeilen machen, war bei der Computer- und Netzkunst nicht immer das vordringlichste Ziel. Eigentlich ging es in diesem Bereich ursprünglich mal darum, genau diese Technologien einer kritischen künstlerischen Überprüfung zu unterziehen, statt sie besonders pfiffig einzusetzen. „CODeCOD“ zeigt dagegen vor allem Kunst, die nur Nerds lieben (und verstehen) können.
Es dürfte kein Zufall sein, dass unter den zwölf Teilnehmern nur eine weibliche Künstlerin ist – das zweckfreie Herumbasteln mit Technik war schon immer eher eine Männerdomäne.
Software und Code gehören zu den wichtigsten Rohstoffen der Informationsgesellschaft, und darum ist es auch ein legitimes Anliegen der bildenden Kunst, sich mit diesem Material auseinander zu setzen. Aber die meisten Arbeiten, die bei „CODeDOC“ zu sehen sind, haben wenig Interesse an den Auswirkungen von Codes auf die wirkliche Welt jenseits des Computers, sondern freuen sich lieber still an den Bildern, die ihre kleinen Programme auf dem Monitor produzieren.
Die Offenlegung des Codes soll der Kunst natürlich etwas von dem Hipness-Faktor sichern, den Open-Source-Programme wie Linux nach wie vor besitzen; einige der Künstler sind sogar so weit gegangen, ihre Arbeiten unter die „GNU Public Licence“ zu stellen. Aber Linux ist gerade deswegen so ein wichtiges Thema geworden, weil es den derzeitigen Status quo von Softwareproduktion und -vertrieb hinterfragt – nämlich die Tatsache, dass Microsoft als Softwarefirma auf dem PC-Markt ein Quasimonopol hat.
Daran kann man nicht anknüpfen, indem man den Code seiner müden Software-Kunstwerke offen legt; da müsste man sich als Künstler schon wirklich mit der Politik und der Kultur von Software auseinandersetzen. TILMAN BAUMGÄRTEL
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