: „Der zweite Schritt vor dem ersten“
Die PDS-Sozialexpertin Steffi Schulze befürchtet, dass die im Behindertenbereich beschlossenen Kürzungen nicht ohne Qualitätseinbußen umsetzbar sind. Sie fordert nun einen realistischen Ausstattungsvergleich mit anderen Städten
taz: Frau Schulze, Jugendhilfe- und Behinderteneinrichtungen befürchten Qualitätseinbußen, wenn die jetzt anvisierten Einsparungen tatsächlich umgesetzt werden. Sehen Sie das auch so?
Steffi Schulze: Das müssen wir prüfen. Aber es stimmt, dass wir den zweiten Schritt vor dem ersten getan haben.
Was meinen Sie damit?
Statt erst zu prüfen, zum Beispiel mit einem Stadtstaatenvergleich, ob es in Berlin tatsächlich Ausstattungsvorsprünge gibt, haben wir die Sparsumme festgesetzt. Vorher hätte man auch mit den Trägern über notwendige Umstrukturierungen in der Hilfelandschaft sprechen müssen. Dass diese notwendig sind, betonen selbst die Wohlfahrtsverbände.
Warum ist das nicht geschehen?
Das müssen Sie die zuständigen Senatsverwaltungen fragen. Als Ausschussvorsitzende habe ich zu solchen Gesprächen eingeladen.
Eine der verantwortlichen SenatorInnen ist Ihre Parteifreundin Heidi Knake-Werner.
Frau Knake-Werner teilt die Ansicht, dass man zuerst mit den Trägern sprechen muss – was sie auch getan hat.
Wirklich umfassende Gespräche gab es nicht. Dennoch haben die Sozialsenatorin und auch die gesamte PDS-Fraktion dem Haushalt zugestimmt.
Das stimmt nur teilweise. Gespräche führen eben nicht sofort zu einem von allen Seiten akzeptierten Ergebnis. Ich befürchte allerdings, dass im Behindertenbereich die Kürzungen in der vorgesehenen Höhe und der Zeitschiene nicht umzusetzen sind, ohne dass es zu einer Qualitätseinbuße kommt. Das war nicht allen bei Verabschiedung des Haushalts klar.
Und das müssen jetzt die Behinderten ausbaden?
Nein. Wir müssen jetzt die Grundlage überprüfen, und zwar anhand von seriösen Zahlen, zum Beispiel einem Stadtstaatenvergleich mit Hamburg und Bremen. Dabei dürfen aber nicht, wie es oft geschieht, Äpfel mit Birnen verglichen werden.
Was schwer ist, weil die Hilfestrukturen in den Städten sehr unterschiedlich sind. Trotzdem: Wenn herauskommt, wie es die Wohlfahrtsverbände behaupten, dass es etwa im Behindertenbereich diese Ausstattungsvorsprünge gar nicht gibt – was dann?
Das muss man abwarten. Aber wenn es wirklich so ist, müssen die Einsparungen nach unten korrigiert werden.
Sieht das nur die PDS-Sozialpolitikerin so?
Nein, das meint auch meine Fraktion. Und die SPD sieht das ganz ähnlich.
Und der Finanzsenator?
Das müssen Sie ihn fragen.
Die Bezirke haben jetzt schon große Schwierigkeiten, ihre Sozialleistungen zu erfüllen. Träger klagen darüber, dass die Bezirke diesem Problem beizukommen versuchen, indem sie Leistungen – wie zum Beispiel bei der Jugendberufshilfe – einfach nicht mehr bewilligen.
Das darf nicht passieren, wenn es sich um gesetzlich festgeschriebene Leistungen handelt. Dieses Haushaltsproblem darf nicht auf Kosten der Leistungsempfänger gelöst werden.
Wird es aber, wenn man den Wohlfahrtsverbänden glauben darf. Also: Was dann?
Die Bezirke werden sich einem Vergleich von Kosten und Qualität einzelner Leistungen stellen müssen – und die Träger auch. Da, wo es zu große Unterschiede gibt, muss das im Nachtragshaushalt geregelt werden.
Also mehr Geld für die Sozialleistungen der Bezirke?
Wir brauchen eine Sicherung der gesetzlichen Leistungen und realistische Mittelzuweisungen an die Bezirke.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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