: Gedenkfeier endet mit Eklat
In Spandau erhielt die Kinkelstraße ihren früheren Namen Jüdenstraße wieder. Bei einer kleinen Zeremonie soll es antisemitische Zwischenrufe gegeben haben
Über einen antisemitischen Vorfall in Spandau hat sich am Wochenende eine erhitzte Diskussion entwickelt – die Frage ist nur: Hat es ihn überhaupt gegeben?
In der Spandauer Altstadt wurde am Freitag die Kinkelstraße in Jüdenstraße unbenannt. So hieß die Straße jahrhundertelang, ehe sie die Nazi-Stadtverwaltung 1938 neu benannte: in Erinnerung an einen Revolutionär von 1848, Gottfried Kinkel. Um die Rückbenennung in Jüdenstraße hatten sich die Spandauer Liberalen seit Mitte der 80er-Jahre bemüht. Doch es gab auch Gegner der Umbenennung. Sie schlossen sich in der „Bürgeraktion Kinkelstraße“ zusammen.
Bei einer kleinen Zeremonie kam es am Freitag nun zu folgendem Vorfall: Während einer kurzen Ansprache des von der FDP eingeladenen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner, sollen „gesetzte Bürger“, wie der Gemeindechef der taz berichtete, unter anderem „Juden raus““ und „Ihr habt Jesus gekreuzigt!“ gerufen haben. Brenner sagt, er sei geschockt gewesen und habe „beinahe die Nerven verloren“. Dennoch habe er noch entgegnen können: „Sie stellen sich, ob Sie wollen oder nicht, in eine Reihe mit den Nazis.“ Dann habe er seine Rede abgebrochen. Brenner zeigte sich gestern weiter „geschockt“ von dem Vorfall. Er sagte, so würden „Wunden aufgerissen“ – auch wenn solche Leute „zum Glück heute noch keine Macht“ hätten.
Siegfried Schmidt von der Bürgeraktion Kinkelstraße äußerte im Gegensatz zu Brenner jedoch Zweifel, ob es zu den antisemitischen Rufen überhaupt gekommen sei. Auch wenn Schmidt einräumte, sich irren zu können, betonte er, dass er die Rufe nicht gehört habe. Zusammen mit anderen habe er gegen die Umbenennung protestiert – vor allem, weil sie ohne ausreichende Rücksichtnahme und Information der Anwohner vorgenommen worden sei. Er habe nach dem Abbruch der Rede Brenners rund 15 Anwesende gefragt, ob sie antisemitische Rufe gehört hätten. Alle hätten dies verneint. Auf seine Nachfrage bei der Polizei hieß es, auch die anwesenden Polizisten hätten keine antisemitischen Pöbeleien vernommen. Um die Sache aufzuklären, hätten nun drei Mitglieder der Bürgeraktion eine Strafanzeige gegen unbekannt erstattet. Gemeindechef Brenner erwägt, heute Gleiches zu tun.
Unterdessen hat der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper (SPD), den Vorfall als „Schande“ verurteilt. Er sei betroffen – zumal er während einer Gedenkstättenfahrt zum früheren Konzentrationslager Stutthof in Polen von dem „ungeheuerlichen Vorfall“ gehört habe. Auch künftig müsse immer wieder daran erinnert werden, dass der Antisemitismus in Deutschland zu millionenfachem Mord geführt habe. Entsetzt zeigte sich auch der evangelische Landesbischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber: Dieser Fall von Antisemitismus habe ein bislang nicht gekanntes Ausmaß, da er erstmals im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung vorgekommen sei. PHILIPP GESSLER
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