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Ich bin ich, du bist du

Tadellos abbaesk: Im Hamburger Operettenhaus hatte das Musical „Mamma Mia!“ Premiere. Getragen von den Songs der schwedischen Band, erzählt es, was von Utopien übrig bleibt

von JAN FEDDERSEN

Im Foyer, wenige Minuten vor Beginn, null Coolness. Aufgeregtes Murmeln. Hier und da summt es. „Dancing Queen“ in der einen Ecke, in der anderen „The Winner Takes It All“. Kein Vergleich aber mit der Stimmung, die bei „Cats“ oder dem „Phantom der Oper“ vor dem ersten Takt aufzukommen pflegt, wo man so tut, als sei man in der Oper.

„Mamma Mia!“, das ist der Stoff, aus dem die Stage Holding, mächtiger Musicalbetreiber mit niederländischem Hintergrund, wieder zu Kasse kommen will. Die Produktion lief in London zur Freude der Investoren sehr rentabel. Eine Revue mit Liedern der erfolgreichsten Popband überhaupt, in der freilich nie das Wort „Abba“ fällt. Die Chiffre selbst tragen die Zuschauer nur im Kopf, und zwar auswendig: Welch Ehre für eine seit 20 Jahren aufgelöste Gruppe. Der Plot klingt zunächst schlicht. Catherine Johnson, die britische Autorin der Story um die Songs, erzählt von dem Mädchen Sophie, das sich schwer verknallt hat und den Angebeteten heiraten will. Aber sie möchte von ihrem Vater zum Traualtar geführt werden – doch dessen Namen will die Mutter nicht herausrücken: Unsichere Zeiten, damals, Ende der Siebzigerjahre. Gleich mit drei Männern hat sie im fraglichen Zeitraum geschlafen, wie die Tochter heimlich den Tagebüchern der Mutter entnimmt.

Dort entdeckt sie auch, dass die Mutter nicht immer so eine tüchtige Person war, die auf einer griechischen Insel eine Taverne betreibt – eine Gastronomin, die einst als Aussteigerin begann, weil „ich es in der Mietskaserne nicht ausgehalten hätte“ und weil deren eigene Mutter die schwangere Tochter verstoßen hätte. Davor war sie die umjubelte Sängerin der Girl-Group Donna & The Dynamos – ein Gassenfeger, der nichts anbrennen ließ im Namen der Liebe. Doch Sophie will sich nicht entmutigen lassen und lädt die drei möglichen Väter, ohne dass ihre Mutter es weiß, auf die Insel ein. Womit die Verwicklungen überhaupt erst zutage treten: Mutter ist erschrocken, weil sie nicht mit der Vergangenheit konfrontiert werden möchte; die Männer ahnen erst langsam, dass sie überhaupt ein Kind auf einem kykladischen Flecken haben könnten; die Tochter schwelgt, krass in Abgrenzung zur antibürgerlichen Lebensweise der Mutter, in Traumprinzenfantasien.

Die Interieurs passen geschmackssicher: Die Protagonisten tragen mal Latzhosen, Schlabberkleider, ausgebeulte Jacken (und einer einen Businessanzug: Achtung, da hat einer Karriere gemacht) und im Zweifel T- Shirts. Nur Donna & The Dynamos dürfen den vollen Lack der Siebzigerjahre auftragen: glitzernd silbern, aber auch nur am Schluss. Das Mobiliar ist historisch korrekt im azurblauen Stil jener Tage gehalten – die Stühle farblich etwas abgeschabt, das Bett eine ungemachte Liegewiese. Der Bühnenbildner hat sich präzise erinnern können.

Johnsons Story verhält sich zur Produktion von Abba-Songs kongenial: eine simple Konstruktion, die tatsächlich aber mehrere Probleme auf mehreren Ebenen erörtert: Kritik am Spießertum der Siebziger, Reflexionen über die naiven Ausstiegsträume, Probleme mit den praktischen Folgen der Versuche, es ganz anders als die Alten zu machen; Abschied von den glamourösen Tagen der Jugend, als alle Vorstellungen zum Morgen im Hier & Jetzt ihre Grenze zu finden hatten. Kurzum: „Mamma Mia!“ ist das Musical zu den bleiernen, vor allem aber aufbrüchigen Zeiten, die vor 30 Jahren begannen und längst nicht aufgehört haben. Ein Projekt aus alternativer Gedankenwelt sozusagen: Was passiert, wenn man selbst „Das tut man nicht“ (wie die Mutter zur Tochter über deren Heiratswahn) sagt und nur ein „Das ist mein Ding“ erntet?

Die 28 Songs klingen, als wären sie damals eigens für dieses Musical geschrieben worden. Ihre Leadzeilen hat Michael Kunze beibehalten. Trotzdem erstaunlich, wie die Skepsis, ob denn „One Of Us (Is Crying)“ auch auf Deutsch noch gut klingt, Lied für Lied zerbröselt: „Einer muss nun leiden“, heißt es zum letzten Singlehit der Gruppe. Und „Chiquitita“ bekommt ein „Was ist dein Lied“ angehängt, aus „Knowing Me, Knowing You“ wird „Ich bin ich, du bist du“. Das Publikum verhält sich interaktiv und singt und murmelt im Laufe der Aufführung immer munterer (auf Englisch) mit.

Nach zwei Stunden darf langer Beifall für eine temporeiche Show gegeben werden. Für ein extrem gut gelauntes Ensemble, das an diesen Nummern Spaß zu haben scheint. Die Tänzer wirbelten perfekt, Carolin Fortenbacher (Donna), Katja Berg (Sophie) und Kerstin-Marie Mäkelburg sowie Jasna Ivir (als die beiden „Dynamos“), natürlich auch die drei Väter Jörg Neubauer, Frank Logemann und Cusch Jung waren in ihren Rollen einleuchtend. Kein Pathos zerstörte das melancholische Grundmuster der Story. Eine wunderbare Musicalinszenierung: tadellos abbaesk.

Demnächst hat, auch in Hamburg, das „Titanic“-Musical Premiere. Zwei ambitionierte Projekte in einer Stadt? „Titanic“ wird, nach allem, was man über generationelle Überlieferung und deren Pflege weiß, in „Mamma Mia!“ seinen Eisberg finden.

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