: „Marktmacht gezielt einsetzen“
Christoph Erdmenger vom Städtebündnis Iclei fordert Kommunen nach Gerichtsurteil zu ökologischem Einkauf auf
taz: Wenn staatliche Institutionen einkaufen, dürfen sie auch Ökokriterien beachten. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt entschieden. Ist das nicht selbstverständlich?
Christoph Erdmenger: Leider nicht. Bisher herrschte die Vorstellung, die öffentliche Hand dürfe nur das preiswerteste oder das wirtschaftlich vorteilhafteste Produkt einkaufen.
Ein Sprit sparender Wagen spart doch auch Kosten?
Das stimmt. Jedoch bringt der Kauf von besonders abgasfreundlichen Autos einer Kommune keinen unmittelbaren Vorteil. Hier geht es wirklich nur um Umweltschutz aus gesellschaftlicher Verantwortung.
Und das war verboten?
Nein. Schon bisher durfte auf die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards geachtet werden. Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren jedoch protestiert, wenn es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge umso mehr Bonuspunkte gab, je deutlicher die gesetzlichen Grenzwerte unterschritten wurden.
Warum so wenig Ökobewusstsein?
Die Kommission befürchtet, dass durch „vergabefremde Kriterien“ wie Umweltschutz gezielt einzelne Bewerber bevorzugt werden.
Ist diese Angst berechtigt?
Wenn der Verdacht besteht, dass eine öffentliche Ausschreibung manipuliert wurde, kann ein Gericht den Verdacht aufklären.
Welche Bedeutung hat die öffentliche Beschaffung von Waren und Dienstleistungen für den Umweltschutz?
Die öffentliche Hand könnte nicht nur Vorbild für die Verbraucher sein. Sie könnte mit ihrer gebündelten Marktmacht auch Anreize für die Massenproduktion von umweltfreundlichen Produkten bieten. Die Beschaffung der öffentlichen Hand steht immerhin für 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Europaweit ist das eine Marktmacht von 1.000 Milliarden Euro pro Jahr.
Nutzen Kommunen ihre Marktmacht bisher zu wenig?
Die Vorreiter bei der umweltfreundlichen Beschaffung in Europa sind Skandinavien, die Niederlande, Österreich und Deutschland. Aber das Potenzial wird kaum ausgeschöpft. Wir sind hier noch ganz am Anfang.
Warum?
Umweltfreundliche Beschaffung funktioniert nur, wenn sie von den politisch Verantwortlichen gewollt wird und gleichzeitig die Einkäufer engagiert und umweltbewusst sind.
Ist die jetzige Klarstellung des EuGH ein Aufbruchsignal?
Ja. Die Einkäufer können sich nun nicht mehr damit herausreden, die umweltfreundliche Beschaffung sei rechtlich umstritten. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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