piwik no script img

„Die Stadt ist keine Zwangsveranstaltung mehr“

Alle Städte schrumpfen, Bremen aber könnte wachsen, so der Geograph Bahrenberg, weil es viele Freiflächen hat. Ein Stadtstaat allerdings macht schon lange keinen Sinn mehr: Der Radius der Menschen ist sehr viel größer. Arbeitsplätze halten die Leute in der Region, nicht unbedingt in der Stadt

Bremen verliert Einwohner – das belegten mit neuen Zahlen jüngst zwei Studien. Darüber, was dagegen zu tun sei, streiten sich die Geister, namentlich die Fraktionschefs von SPD und CDU. Während Letzterer darauf drängt, billiges Bauland auf der grünen Wiese auszuweisen, kritisiert SPD-Chef Jens Böhrnsen, dass die Einwohner-Politik zu sehr auf Arbeitsplätze und zu wenig auf Wohn- und Lebensqualität setzt. Der Sozial- und Wirtschaftsgeograph Gerd Bahrenberg kritisiert vor allem eins: Die Stadt verfolgt zu viele und widersprüchliche Ziele. Wer junge Familien halten will, der muss auf den Naturschutz verzichten, so eine seiner provokanten Thesen.

taz: Bremen schrumpft weiter. Waren Sie genauso geschockt wie die Politiker?

Gerhard Bahrenberg: Keineswegs. Alle Städte schrumpfen, weil die Stadt keine Zwangsveranstaltung mehr ist. Ein Beispiel: In den 70er Jahren war ich noch jede Woche bei der Bank, in den 80ern einmal im Monat, in den 90ern bin ich vielleicht alle drei Monate hin und jetzt schon zweieinhalb Jahre nicht mehr. Also,: Die Schrumpfung ist ein Trend, gegen den man sich nicht stellen kann. Insbesondere die Städte nicht, die voll sind. In Bremen liegt der Fall ein bisschen anders, dies ist die einzige deutsche Großstadt, in der es Fläche en masse gibt. Wir haben die gleiche Einwohnerzahl wie Stuttgart, Nürnberg oder Düsseldorf. Bremen hat aber mehr als doppelt so viel Fläche wie Düsseldorf und knapp anderthalbmal so viel wie Stuttgart.

Welche Flächen sind das, was soll man mit denen anstellen?

Das Hollerland, Blockland, Hemelingen, die Areale Richtung Timmersloh – ich will nicht sagen, dass ich die Bebauung vorschlage, aber das sind riesige Flächen. Bremen könnte gut und gerne 100.000 Leute mehr in der Stadt unterbringen.

In Einfamilienhäusern im Naturschutzgebiet?

Wenn man die jungen Familien innerhalb der Stadtgrenzen halten will, dann muss man ihnen suburbanes Wohnen am Stadtrand ermöglichen. Ansonsten ziehen sie nach Stuhr oder Weyhe. Wenn Bremen also selbstständig bleiben will, würde ich das empfehlen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass Bremen selbstständig bleiben sollte. Die Aktionsreichweiten der Menschen entsprechen dem Konzept der Stadtstaaten in keiner Weise mehr.

Die Auflösung des Stadtstaates ist aber kein Projekt, das sich hiesige Politiker auf die Fahnen schreiben.

Nein, es wird immer alles in der Schwebe gehalten: Man will selbstständig bleiben, gleichzeitig will man Naturschutz betreiben, will wirtschaftlich wachsen und Einwohner halten. Die Ziele sind zu widersprüchlich. Man muss sich für ein Ziel entscheiden und das dann verfolgen!

Hinter dem Streit zwischen SPD und CDU steckt eine Debatte darum, ob man nun mit Einfamilienhäusern im Grünen den Familien hinterherrennt oder ob man sich mit schnieken Wohnkonzepten an die Young Urban Professionals wendet. Ist das eine Scheindebatte?

Es ziehen ja keineswegs nurjunge Familien weg. Auch ältere Familien und Paare suchen das Weite. Das Umland nähert sich von seiner demographischen Struktur den Städten an. Man muss also schon um alle werben. In Bremen aber, da gebe ich der CDU Recht, hauptsächlich um die Familien. Dichtes Wohnen für die überzeugten Städter haben wir genug. Vielleicht kann man hier und da ein bisschen aufstocken. Aber Herr Böhrnsen von der SPD hat auch Recht, wenn er sagt die Einwohnerpolitik ist arbeitsplatzlastig. Arbeitsplätze zu schaffen heißt, dass man die Leute in der Region hält. Damit kann man nicht steuern, ob sie hier oder im Umland leben.

Angenommen, man würde die freien Flächen Bremens bebauen: Wie lange würde eine solche Strategie vorhalten?

Ich will mich da nicht festlegen, aber ich denke bis zu zwanzig Jahre könnte man so die Schrumpfung, die wir übrigens seit den 60er Jahren beobachten, stoppen. Die Frage ist aber, ob sich in dieser Zeit nicht auch die politischen Figuren ändern, also etwa das föderale System. Es ist ja schon jetzt äußerst schwierig, für die Höherbewertung der Stadtstaateneinwohner in den anderen Ländern zu werben.

Das ist ja auch der Punkt, warum etwa Naturschützer sagen: Sollen die Familien doch auf die weniger wertvollen Flächen im Umland ziehen, wenn man die Auflösung der Städte ohnehin nicht umkehren kann.

Man kann diese Position einnehmen, aber dann soll man sich nicht beschweren, wenn die Menschen wegziehen. Dann soll die Stadt sagen, gut, wir haben eben weniger Einwohner.

Fragen: Elke Heyduck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen