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Die Penismonologe

Zwischen Fastfood, Fernsehen und One-Night-Stand: David Foster Wallace versammelt in seinen „Kurzen Interviews mit fiesen Männern“ fiktive Protokolle aus dem ganz normalen Panikalltag

von JAN BRANDT

Eine junge Frau hat das Gefühl, ihren Mann nicht zu befriedigen. Immer, wenn sie sein „Dings“ in den Mund nimmt, stöhnt er vor Schmerzen auf. Aus irgendeinem Grund ist seine Eichel ganz wund. Sie sind seit drei Jahren verheiratet. Ihr Mann arbeitet als Währungsanalyst und leidet unter Schlafstörungen. Nachts steht er auf und – denkt sie – fährt ins Büro, um die internationalen Devisenmärkte zu verfolgen.

Sie traut sich nicht, mit ihm über die Probleme im Bett zu reden und sucht den Fehler bei sich. Also fährt sie zu „Adult World“, einem Sexshop an einer Schnellstraße, und kauft sich einen Dildo und Porno-Videos, um an ihrer Oralsextechnik zu arbeiten. Eines Tages sieht sie das Auto ihres Mannes auf dem Parkplatz des Sexshops, und plötzlich wird ihr klar, warum sein „Dings“ immer wund ist, warum er nachts nicht schläft und außerdem bei jeder Gelegenheit die Toilette aufsucht: Ihr Mann ist ein „heimlicher Zwangsonanierer“. Der Schock ist aber bald überwunden. Sie wird Stammkundin bei „Adult World“, ersteht erst einen zweiten Dildo, dann den „Penetrator“, später den so genannten „Pink Pistorello“, ein Massagegerät mit praktischem Pistolengriff, und schließlich den „Scarlet Garden MX-1000“, einen Vibrator mit Klitoris-Saugfunktion. Am Ende verbindet die Partner eine „tiefe, unausgesprochene Komplizenschaft, die in der gereiften Ehe einem Liebesschwur gleichkommt“.

Alle Geschichten in David Foster Wallace’ neuem Erzählband „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ spielen in einer aus den Fugen geratenen Welt der Erwachsenen, und die Personen werden oft nur durch Attribute gekennzeichnet: „die junge Ehefrau“, „die depressive Person“, „das Subjekt“. Sie bleiben Namenlose, austauschbar und flüchtig. Und die Texte sind eigentlich keine Erzählungen, sondern psychologische Fallstudien, Krankenakten und Mitschnitte des Wahnsinns, Berichte aus einem traurigen Leben zwischen Fastfood-Restaurants, One-Night-Stands und Fernsehdauerbeschallung. Für einige wird da der Austausch einer Serienfigur in einer Daily-Soap schon zu einem traumatischen Erlebnis – weil alle anderen Schauspieler so tun, als wäre nichts passiert.

„Kurze Interviews mit fiesen Männern“ ist das zweite ins Deutsche übersetzte Buch des 40-jährigen US-Autors David Foster Wallace, der spätestens seit Erscheinen seines über tausendseitigen Monumentalwerkes „Infinite Jest“ (1996) – was so viel heißt wie „unendlicher Witz“ – als Nachfolger von Don DeLillo und Thomas Pynchon gehandelt wird. Die Übersetzung steht noch aus. Im letzten Jahr erschien bei Kiepenheuer & Witsch der Erzählband „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“, in dem Wallace wortgewaltig von einer scheinbar unschlagbaren Quizshow-Queen, von Yuppies und Punkern und einem sterbenden Präsidenten erzählt. In weiser Voraussicht hatte der Herausgeber Denis Scheck beim letzten Mal die Hälfte der Geschichten der amerikanischen Originalausgabe weggelassen.

Dagegen erweist sich „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ mit immerhin fast vierhundert Seiten als lang und langweilig, vor allem wegen der Wiederholung des immer gleichen Themas. Zwar versucht Wallace die Erzählungen aufzubrechen, indem er zum Beispiel Handlungen und Dialoge auf das Wesentliche verkürzt und als eine Art Storyboard darstellt oder ein so genanntes „Pop-Quiz“ einfügt, das wie eine Textaufgabe in Mathe funktioniert: Erst wird ein Beziehungsproblem skizziert und dann nach dem Lösungsweg gefragt. Aber vieles liest sich so anstrengend wie eine sachlich formulierte Psychologiediplomarbeit und ist obendrein gewissermaßen augenzwinkernd mit Fußnoten, zusätzlichen Informationen und Anmerkungen versehen. Der eigentlichen Geschichte fügen sie aber nichts Neues hinzu.

Kernstück des Erzählbandes sind die achtzehn fiktiven „Interviews mit fiesen Männern“, bei denen es sich, da die Fragen ausgeblendet werden, im Grunde um Monologe manischer Männer handelt. Jedem „Interview“ geht eine Notiz voraus, die Aufschluss gibt über Ort und Zeitpunkt des Gesprächs. Mal handelt es sich um zwei Teppichhändler, die sich zufällig auf dem Flughafen von Trenton, New Jersey, begegnen, mal um Patienten eines „Instituts für Langzeitbetreuung“ im Bundesstaat New York. „Es hat mich praktisch jede sexuelle Beziehung gekostet, die ich hatte“, bekennt ein Mann – obwohl er völlig unpolitisch sei, müsse er immer, wenn er mit einer Frau schlafe, „mitten im Orgasmus“ rufen: „Sieg den Kräften der demokratischen Freiheit“.

Die meisten „fiesen Männer“ berichten aber nicht von sexuellen Neurosen, sondern von ihren vermeintlichen Tricks, Frauen flachzulegen oder zu verlassen, ohne sie dadurch zu verletzen. Einer nutzt seinen verkrüppelten Arm als „Geheimwaffe“. Der Arm reicht ihm nur bis zur Brust, sieht aus wie eine kleine Flosse und „wirkt immer irgendwie feucht“. Sobald die Frauen den Stumpf zu Gesicht bekommen, brechen sie in Tränen aus, was dazu führt, dass er sie trösten muss und sie aus Mitleid mit ihm schlafen.

In den besten Momenten erinnern die „kurzen Interviews“ an die Comics von Gary Larson. Zwar unterhalten sich keine Kakerlaken, Amöben oder Kühe über Menschen, aber von der Panik vor dem Alltäglichen, die in Larsons Bildern durchscheint, sind auch Wallace’ Figuren erfasst. „Ich liebe die Frauen“, erklärt einer der Männern. „Doch, wirklich. Ich liebe sie. Alles an ihnen macht mich scharf. Wenn’s um Frauen geht, bin ich machtlos. Sie müssen bloß ins Zimmer kommen, schon ist es um mich geschehen. Was wäre die Welt ohne Frauen? Sie wäre – oh, nein, nicht schon wieder, hinter Ihnen, passen Sie auf!“ Gerade hat eine Frau den Raum betreten.

In diesen mal komischen, mal brutalen „Männermonologen“ verbindet Wallace hohe Authentizität mit subtiler Kunstfertigkeit. Das, was die Männer sagen, erscheint so wirklich und glaubwürdig, so absurd und unglaublich zugleich, dass der Eindruck entsteht, Wallace habe alle persönlich getroffen, die Gespräche heimlich aufgezeichnet und schließlich in Literatur verwandelt. Herausgekommen sind bösartige Protokolle hinterhältiger Egomanen. Bei den meisten Typen handelt es sich aber um arme Kerle, die sich und ihre Defizite längst akzeptiert haben: „Ich habe die Spirale der Gewalt gestoppt. Ich kann mittlerweile verzeihen. Ich mag mich.“

David Foster Wallace: „Interviews mit fiesen Männern“. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 380 Seiten, 22,90 €

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