: Schicksal vor Schikane
Der inhaftierte Transsexuelle Martin Z. darf nicht ins Frauengefängnis, urteilte gestern das Landesverfassungsgericht. Z. will weiterkämpfen und hofft auf eine Geschlechtsumwandlung
von PLUTONIA PLARRE
Schicksal oder Schikane – das war die entscheidene Frage. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat sich für Schicksal entschieden: Wenn ein Transsexueller in Haft einer besonders belastenden Situation ausgesetzt sei, dann sei dies „nicht das Ergebnis von Schikane, sondern von Schicksal“. Mit dieser Begründung haben die Verfassungsrichter gestern die Beschwerde des 42-jährigen Transsexuellen Martin Z. zurückgewiesen, der seit März 2001 wegen Totschlags in der Männer-Untersuchungshaftanstalt Moabit sitzt und in das Frauengefängnis Lichtenberg verlegt werden wollte.
Der Gefangene, der am „Klinefelter-Syndrom“, einer angeborenen Chromosomenveränderung, leidet, fühlt sich als Frau, zieht Kleider und Röcke an und schminkt sich. In der Männer-U-Haft ist er Gespött und Schikanen ausgesetzt, nicht nur von Seiten der Gefangenen. Die Verfassungsbeschwerde hatte Z.s Anwalt Matthias Zieger damit begründet, die Menschenwürde seines Mandanten werde missachtet.
Der Beschluss des Verfassungsgerichts ist Wasser auf die Mühlen der Senatsverwaltung für Justiz. Denn sie hatte sich im Oktober vergangenen Jahres geweigert, die von einem Haftrichter angeordnete Verlegung Z.s in die Frauenhaftsanstalt in die Tat umzusetzen. „Ein Gefangener, der von außen her ein Mann ist, hat im Frauengefängnis nichts zu suchen“, sagte der Leiter der Abteilung Strafvollzug, Wolf-Dieter Krebs, zur taz.
Für Martin Z., der sich Kerstin nennt, ist die Entscheidung ein schwerer Schlag. Auf den ersten Blick würde der gelernte Agrotechniker mit den rot lackierten Fingernägeln durchaus als Frau durchgehen, wäre da nicht diese tiefe, rauchige Stimme. Das runde Gesicht mit dem tätowierten Stirnband ist dezent geschminkt, die schulterlangen, grausträhnigen Haare sind zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. „Ich werde nicht lockerlassen“ kündigte Z. Anfang der Woche bei einem Besuch in der Untersuchungshaftanstalt für den Fall an, dass der Verfassungsgerichtshof seiner Beschwerde nicht stattgeben werde.
Genug Schikane
Zur Sprechstunde ist der groß und kräftig wirkende Z. in einem langärmligen gestreiften Rollkragenpullover in Pastellfarben erschienen. Dazu trägt er einen dunklen Wollrock, der züchtig die Knie bedeckt. Über die schwarzen Nylonstrümpfe hat er dicke Socken gezogen, die Füße stecken in Sandalen. Als er noch freier Mensch gewesen sei, erzählt Z. in breitem Berliner Dialekt, der seine proletarische Herkunft verrät, habe er sich gern aufgedonnert: hochhackige Schuhe und Miniröcke, „ganz kurz“. Zur Demonstration zieht er den Wollrock drei Handbreit nach oben. Auf den Schenkeln unter dem Nylon blitzen riesige Tätowierungen auf. Aber für den Mini sei es in den alten Gemäuern zurzeit eindeutig zu kalt, sagt er: „Und schikaniert werde ich auch so genug.“
Martin Z. kommt aus Biesdorf am Stadtrand von Berlin. Er ist verheiratet und hat eine Stieftochter. Im März 2001 kam er wegen Verdachts des Totschlags in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Er soll seinen Stiefgroßvater, von dem er in seiner Kindheit sexuell missbraucht worden sei, im Zuge einer handgreiflichen Auseinandersetzung erschlagen haben. In einem ersten Verfahren war er zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. In einem zweiten Verfahren wurde die Strafe auf fünf Jahre reduziert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil Z. neuerlich Revision eingelegt hat.
Das ist auch der Grund dafür, dass der Gefangene immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Glück im Unglück, denn als U-Häftling ist er rund um die Uhr in einer Einzelzelle unter Verschluss. Auf die Freistunde und den Hofgang verzichte er, weil er keine Lust habe, sich „Kinderficker!“ und „Sittenschwein!“ hinterherrufen und anspucken zu lassen, erzählt Z. „Ich weiß schon lange nicht mehr, was für ein Wetter draußen ist.“
Noch mehr als vor einem Hofgang in Moabit grause ihm aber vor der Vorstellung, in den Männerknast Tegel zu müssen, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Einer wie er, der Frauenkleider trage, werde in Tegel fertig gemacht, ist sich Martin Z. sicher. Auch die Moabiter Anstaltspsychologen und Sozialarbeiter, die sehr nett zu ihm seien, hätten gesagt: Tegel sei für einen wie ihn die Hölle. „Wenn ich nach Tegel muss“, bricht es aus Z. heraus, „hänge ich mich auf.“
Aufgrund einer Beschwerde der Staatanwaltschaft gegen den Verlegungsbeschluss des Haftrichters – der von der Justizverwaltung ohnhin ignoriert worden war – hatte das Kammergericht im vergangenen Sommer angeordnet, dass Z. bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht in den Frauenknast verlegt werden dürfe. Das Kammergericht war sehr wohl der Meinung, dass Z.s Situation in Moabit „untragbar“ sei, und beauftragte die Justizbehörde, „unverzügliche Änderungen“ zur Verbesserung der Haftsituation vorzunehmen.
Abgesehen davon, dass es inzwischen einen Neuzugang von einem weiteren Transsexuellen gegeben habe, mit dem er zweimal pro Woche Umschluss zum Kartenspielen habe, „ist wenig passiert“, sagt Z. Nicht mal zum Duschen werde er mehr gebracht, seit er sich über die voyeuristischen Blicke der Beamten beschwert habe. Auf der Zelle habe er nur kaltes Wasser. „Die Schminke kriege ich damit überhaupt nicht ab.“
Weil er sich in seiner Kindheit so mädchenhaft verhalten habe, sei er in die Psychiatrie gesteckt worden, erzählt Z. Das war zu DDR-Zeiten. Um nicht zur Armee zu müssen, habe er sich in den 80er-Jahren ein Stirnband ins Gesicht tätowiert. Das Gefühl, eine Frau zu sein, lasse er erst seit 1995 richtig zu. Dass die Chromosomenveränderung mit zunehmendem Alter zu einer verstärkten Ausschüttung weiblicher Hormone und zur Entwicklung von Brüsten führt, ist ihm anzusehen. Laut ärtzlichem Attest ist er auch zu 99,89 Prozent zeugungsunfähig. Beim Amtsgericht Schöneberg hat Z. die Genehmigung einer Geschlechtsumwandelung nach dem Transsexuellengesetz beantragt. Die Voraussetzung: Zwei vom Gericht bestellte Gutachter müssen dem Antragsteller bescheinigen, dass sich dieser als Mensch im falschen Körper fühlt und den Willen zur Geschlechtsumwandlung in einem dreijährigen Alltagstest unter Beweis gestellt hat. Nach Auskunft von Rechtsanwältin Corinna Hell, die Z. in dem Zivilverfahren vertritt, hat ihr Mandant bereits zwei Gutachten eingeholt. Das eine sei in seinem Sinne ausgefallen. Das andere komme zu dem Schluss, dass die Zeit für eine Personenstandsänderung noch nicht reif sei. Sie habe nun ein drittes Gutachten beantragt. Das könne aber dauern.
Die Kosten der Operation
„Die Ungewissheit ist das Schlimmste“, sagt Z. Seine große Sorge ist, dass er sich auch beim Vorliegen von zwei positiven Gutachten nicht während der Haftzeit operieren lassen kann. Die Kosten von rund 20.000 Euro für den Eingriff müsste nämlich die Justizbehörde übernehmen, weil Z. als Häftling durch diese krankenversichert ist. Es gibt allerdings Gerichtsurteile aus anderen Bundesländern, in denen die Justiz in vergleichbaren Fällen zur Kostenübernahme verdonnert wurde.
Der Leiter der Frauenhaftanstalt Lichtenberg, Matthias Blümel, zeigte sich gestern über den Beschluss des Verfassungsgerichts erleichtert. Er empfinde aber keine Triumph, sagt Blümel, dessen Liberalität im Umgang mit den inhaftieren Frauen im Allgemeinen geschätzt wird. Er sei sich keineswegs sicher, dass die Frauen Z. besser behandelt hätten, meint der Anstaltsleiter. Der Vollzug in der weiblichen U-Haft sei in Wohngruppen organisiert, die Basis sei Vertrauen. Er hätte Z., der von seinen Geschlechtsmerkmalen her nach wie vor ein Mann sei, nicht auf diese offene Station verlegen können, sondern hätte ihn in Einzelhaft isolieren müssen. Alles andere, so Blümel, hätte bei den Frauen, die in der Regel durch Männer gewaltgeschädigt seien, zu Misstrauen und Verunsicherung geführt.
Auch die Verfassungsrichter haben in ihrem Beschluss bezweifelt, dass Z. bei den Frauen „auf weniger Ablehnung und Anfeindung“ gestoßen wäre. Vor alllem aber hätte seine Verlegung ein erhebliches Sicherheitsproblem für die Frauenhaftanstalt bedeutet, weil dort fast nur weibliches Aufsichtspersonal zur Verfügung stehe. Z. sagt, ihm würde es schon genügen, einmal wieder im Rock an der frischen Luft herumlaufen zu können, Isolationshaft hin oder her. Die Frauen würden ihn vielleicht anpöbeln, aber trotzdem würden sie ihn eher akzeptieren als die Männer, meint er.
Auch sein Anwalt glaubt an das Gute in den Frauen. Warum sonst, fragt Zieger, seien es in Moabit ausgerechnet die beiden Frauen in dem ansonsten männlich dominierten Wachpersonal, die Z. freundlich behandeln?
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