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Der Schienbeintreter

Wilfried Turk ist seit fast 15 Jahren Präses der Bremer Architektenkammer. Bevor er am 13. November diesen Posten aufgibt, zieht er Bilanz

„Wieso rebellieren nicht viel mehr Leute? Ich bin doch kein bezahlter Terrier“

Eine Ära geht zu Ende: Wilfried Turk, seit 1988 ehrenamtlicher Präsident der Bremer Architektenkammer, gibt den Vorsitz ab. Dass er ein streitbarer Präsident war, braucht man niemandem zu erzählen, der das bau- und stadtentwicklungpolitische Geschäft der Stadt verfolgt. Unermüdlich kämpfte Turk gegen das Projekt „Space Park“, weil neue Kunststädte die alten Stadtzentren ausdörren. Im Untersuchungsausschuss Bau hat er für Furore gesorgt. Auf seine Intervention hin verbot Brüssel die freihändige Vergabe des Polizeihauses an den Bauunternehmer Zech. Der Umbau des Polizeihauses musste ausgeschrieben werden.

Herr Turk, gibt es ein Vermächtnis nach 15 Jahren Präsidentschaft?

Ein richtiges Vermächtnis habe ich nicht. Aber ich sage: Mit so einer Architektenkammer hat man nur dann eine Chance, wenn man mehr Stehvermögen hat als Verwaltung und Politik zusammen. Nur so kann man zentimeterweise den ein oder anderen Erfolg verbuchen.

Politik und Verwaltung, sind das Ihre Gegner gewesen?

Die Verwaltung war für mich kein Gegner, aber eine unglaublich zähflüssige Geschichte. Dann noch die ganzen Reformen. Wenn ich eine Verwaltung komplett lahmlegen will, dann schlage ich eine neue Organisationsform vor, so wie das hier Berater von Kienbaum oder Roland Berger gemacht haben. Dann kann ich sicher sein, dass die Beamten in den nächsten fünf Jahren mit sich selbst beschäftigt sind.

Typisch Turk, gleich zu Beginn überschreiten Sie das Thema. Hatten Sie in der Kammer eigentlich Gegner, die Ihnen wegen Ihrer Präsenz in politischen Debatten Grenzüberschreitung vorgeworfen haben?

Diese Befürchtung hat sich in Luft aufgelöst. Im Gegensatz zu der Kritik, die ich aus der Politik bekommen hatte, hat die große, schweigende Mehrheit der Architekten meine Art getragen, sonst hätte ich kaum so lange weitergemacht.

Verdankt sich dieser Rückhalt auch der Tatsache, dass der einzelne Architekt ja tagtäglich kapitulieren muss vor der Übermacht des Bauherrn?

Ein freiberuflich Tätiger ist abhängiger als jeder öffentlich Bedienstete. Von daher ist schon was dran, dass ich Postionen vertreten habe, die Einzelne nicht vertreten konnten.

Wenn Sie rote Kreise in den Stadtplan malen würden – wo freuen sich die meisten Menschen über Ihr Ausscheiden?

Wenn man sich so überlegt, dass mich Henning Scherf einen „Schienbeintreter“ genannt hat, einen Miesmacher, der „alles nur schlecht redet“, dann zeichne ich mal einen dicken roten Kreis ums Rathaus, und zwar komplett. In dem Maß, wie das Bauressort zum Vorzimmer des Wirtschaftsressorts geworden ist, müsste ich auch da kräftig pinseln. Außerhalb der Regierung ist das ganz klar die Handelskammer, die bei der Stadtentwicklung ganz andere Auffassungen hat, außer einmal...

...als...

als wir gemeinsam beim Thema Verkehrsberuhigung im Viertel eine völlig andere Auffassung hatten als die Grünen und der Beirat Mitte. Ich kann doch nicht nur Rosinen im Kopf haben von wegen viele Kneipen, viele Fußgänger. Die Erreichbarkeit der ganzen tollen Geschäfte, die wir alle so schätzen, ist doch im Viertel die zentrale Frage.

Die Verkehrsberuhigung im Viertel hätte ein Stück künstliche Stadt erzeugt?

Ja, genau wie der Space Park, gegen den ich heftig gekämpft habe. Ich bin gegen alles Artifizielle, auch im Kleinen: hier eine Pflastergrafik, da ‘ne tolle Beleuchtung... Und wenn ich an der Domsheide vor der „Glocke“ diese kleinen Treppen habe, weil die Künstlerin sich auf Eisschollen kapriziert hat – gleichzeitig fallen die Leute da fast auf die Schnauze –, dann hat das mit Aufenthaltsqualität nichts zu tun. Oder die Gestaltung vom Domshof im Übergang zum Markt: Das ist ein völlig unproportionierter, gestaltloser Raum. Fußgänger wissen gar nicht, wann woher die Straßenbahn kommt, weil sie die Schienen kaum sehen. Wie die Kaninchen werden die da rumgescheucht.

Stichwort künstliche Stadt: Sind Sie mit ihrer Gegnerschaft – etwa zu den Urban Entertainment Centern wie dem Space Park – nicht ein Dinosaurier?

Wenn es nicht Schienbeintreter gegeben hätte wie mich in Sachen Ostertor/Remberti-Sanierung, dann hätten wir heute die Mozarttrasse und eine sechzehngeschossige Bebauung im Viertel. Ich habe am selben Tag, als in der Bürgerschaft die Mozarttrasse diskutiert wurde, abends meine Diplomarbeit vorgestellt: die behutsame Sanierung auf Grundlage des Bremer Hauses. Man kann mit veralteten Ansichten seiner Zeit voraus sein.

Gehen wir von der Innenstadt ins Faulenquartier: Wird der „Medienstadtteil“ gelingen?

Da hat sich die Architektenkammer ja positioniert: Wenn der Umzug von Radio Bremen für die Stadt nicht zum Subventionsgeschäft wird, und wenn – ganz wichtig – ausreichend preiswerter Raum für Neugründer zur Verfügung steht, könnte es da eine Initialzündung geben.

Gehen wir in derselben Richtung weiter: Lassen sich durch eine Straße vom Faulenquartier ins Hafengelände Flächen für die Stadt zurückgewinnen?

Da gibt es doch das gleiche Verzettelungsproblem wie in der Innenstadt. Mit solchen Hafenflächen hätte sich die Stadt eben zehnmal überlegen sollen, ob sie eine Mahndorfer oder eine Hemelinger Marsch angeht. Sie hätte sich fragen müssen, ob man gleichzeitig den Industriepark West angeht, einen Büropark Oberneuland anlegt und ‘nen Standort für gehobene Büros an der Wasserkante im Hafen plant.

Welches ist Ihr Lieblingsstadtteil?

Schwierige Frage, das ist wohl das Gete-Viertel, in dem ich auch wohne. Es ist sozial gemischt. Das Viertel ist mir zu stark 68er-mäßig geprägt – mit all den Verhaltenszwängen. Siehe Verkehrsberuhigung und andere Militanzen. Da ich ein sehr freiheitsliebender Mensch bin, ist mir eine Umgebung, wo jeder zu seinem Wohlbefinden darauf angewiesen ist, soviel Toleranz walten zu lassen wie möglich, grade recht.

Gibt es auch ein Lieblingsgebäude?

Wenn man von den Altbauten absieht, ist das die Bürgerschaft und der Flughafen von Gerd Schulze.

Was schätzen Sie an seinem Stil?

Dass es kein Stil ist. Der Flughafen ist ein reiner Zweckbau, und er funktioniert. Der Betreiber ist des Lobes voll. Er hat eine hohe Aufenthaltsqualität und ist auch dann noch gut, wenn wenige Leute da sind.

Kommen wir zu einem Höhepunkt Ihrer Karriere als Kammerpräses: dem Untersuchungsausschuss. Was bewegt Sie dabei?

Ich bin der Meinung, dass gesetzliche Regelungen für alle gelten sollten, nicht nur für die anderen. Und wenn man hört, wie da Geld verschleudert wird und ein Herr Haller (Ex-Staatsrat im Wirtschaftsressort, d.Red.) sich vor dem Untersuchungsausschuss das Wort Peanuts gerade noch verkneift, wenn er über 90 Millionen Mark spricht – dann ist das eine Haltung, die ich nicht akzeptiere von Leuten, die das politische Leben in der Stadt bestimmen. Aber wieso rebellieren nicht viel mehr Leute? Ich bin doch kein bezahlter Terrier.

Fühlen Sie sich einsam mit dieser Rolle?

„Das Viertel ist mir zu sehr 68er-mäßig geprägt – mit all den Verhaltenszwängen“

Manchmal ja. Wenn ich aber Zuspruch bekomme von normalen Menschen, von Politikverbrauchern, dann fühle ich mich in verdammt guter Gesellschaft.

Hat der Untersuchungsausschuss was gebracht?

Nö. Wie die zwei Obleute Hermann Kleen (SPD) und Catrin Hannken (CDU) nach meinem Eindruck versuchten, das Ganze unter den Teppich zu kehren und als Schwelbrand zu ersticken, das fand ich unglaublich.

Die Nähe von Politik und Bauwirtschaft wird ja auch mit der wirtschaftlichen Lage Bremens begründet, in der die Stadt sehr um Investoren werben muss. Wäre Distanz da nicht riskant?

Das ist eine Frage der Balance, eine der geistigen Haltung. Landauf, landab gewinnt man den Eindruck, dass sich eine Selbstbedienungsmentalität breitgemacht hat, und zwar umgekehrt proportional zur Abnahme öffentlicher Ressourcen.

Sie reden davon, dass man sich beim Flächen ausweisen nicht verzetteln solle. War also Ralf Fücks, der Grüne Bausenator aus Ampelzeiten, Ihr Lieblingssenator?

Na ja, das war ja ein kurzes Intermezzo. Da wurden bestimmte Wirtschaftsfaktoren einfach ausgeklammert. Und da bin ich schizophrenerweise gegen die Verwaltung aufgetreten, weil zu wenig Fläche ausgewiesen wurde. Das war eigentlich eine gute Vorbereitung für die Große Koalition, weil diese Fehler dann vom Wirtschaftsressort mit Frank Haller als Staatsrat voll ausgekostet werden konnten. Es folgte das völlig überdimensionierte Flächenprogramm der CDU.

Wer ist Schuld daran, dass das Bauressort Vorzimmer des Wirtschaftsressorts wurde?

Fast das gesamte Investitions-Sonderprogramm ist beim Wirtschaftsressort angesiedelt. Die Große Koalition hat das Bauressort entmachtet, so dass die Bausenatoren mit ihren Staatsräten kein Gegengewicht mehr waren zu Herrn Haller und den Wirtschaftssenatoren, die „unter“ ihm gearbeitet haben. Sehen Sie sich die Verkehrsplanung an: Was LKW ist, ist Wirtschaftsressort, der PKW-Verkehr ist Sache des Bauressorts. Da fällt einem nichts mehr ein. In einer solchen Konstellation ist die Entscheidung über den Rembertikreisel oder die Schwachhauser Heerstraße doch ein Kasperle-Spiel.

Fragen: Elke Heyduck

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