florenz: Super- statt Gegengipfel
Was ist nicht alles gesagt worden über die Globalisierungskritiker! Eine bloße Negativbewegung habe sich da zusammengefunden, geeint allein durch eine sich aus unterschiedlichsten, ja gegensätzlichen Quellen speisende Gegnerschaft gegen die Mächtigen der Welt. Eine Koalition, die nur bei „Gegen“-Gipfeln, in Protesten gegen G-8- und EU-Gipfel, gegen IWF- und WTO-Versammlungen, zum Leben erwache. Ein Bündnis, das sich anlässlich dieser Events allein durch Randale Sichtbarkeit verschaffen könne. Eine reine Verhinderungsallianz, die spätestens dann zum Niedergang bestimmt sei, wenn sich die Gipfel-Protestiererei erst einmal in der ewigen Wiederholungsschleife totgelaufen habe.
Kommentar von MICHAEL BRAUN
Manche Beobachter glaubten gar, diesen Wendepunkt bereits benennen zu können: 300.000 Menschen hatten im Juli 2001 in Genua zu den Anti-G-8-Demos eingefunden – und in den Medien fand sich nur Kriegsberichterstattung über Straßenschlachten, die mit einem Toten und hunderten Verletzten endeten. Doch jetzt wurde Florenz zum Beweis dafür, dass von einem Zerbröseln der Bewegung keine Rede sein kann. Über 60.000 Menschen trafen sich ganze drei Tage lang auf dem Europäischen Sozialforum, bis zu eine Million demonstrierten gegen einen Irakkrieg.
Statt eines Gegengipfels gab es diesmal also einen Supergipfel der europäischen Globalisierungskritiker. Die fanden schnell heraus, dass sie bei allen weiter bestehenden – und gar nicht als störend empfundenen – Unterschieden einen ansehnlichen Bestand an Gemeinsamkeiten haben. Sie einigten sich auf eine eigene Agenda fern der Regierungsgipfel und auf europaweite Kampagnen gegen Krieg, gegen Rassismus und gegen die Privatisierung sozialer Dienste. Und zeigten bei ihrer Demo auch gleich, wie sie sich das vorstellen.
Die Massen von Florenz belegen zweifelsfrei, dass sich die Globalisierungskritiker der Genua-Falle erfolgreich entzogen haben. Wer meinte, mit Repression Angst erzeugen und die Leute zum Daheimbleiben bewegen zu können, wurde eines Besseren belehrt. Wer glaubte, die Globalisierungskritiker würden sich ihrerseits in die Repression-Gewalt-Spirale fügen und sich so selbst diskreditieren, wurde gleich doppelt enttäuscht: Nach Florenz kamen doppelt so viele Menschen wie nach Genua. Und mit ihrem friedlich-fröhlichen Marsch verweigerten sie Italiens Premier Silvio Berlusconi zudem den Gefallen, die Aufmerksamkeit von ihren Themen auf das Thema Randale umzulenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen