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Die neue Lust am Hören

Nicht nur professionelle Hörspiele werden beliebter. Dank Computertechnik hat sich eine lebhafte freie Szene entwickelt. Deren Ergebnisse werden im Rahmen der Hörspielwoche präsentiert

„Hörspiel ist Kopfkino. Mit Bildern, in die man richtig eintauchen kann“

von SUSANNE LANG

Ein Klick, und seine Hörspiel-Traumfabrik läuft. Plötzlich brummt ein Automotor eintönig durch das Dachgeschosszimmer von Christian Berner. Plötzlich sitzen die Ohren im Innenraum eines Wagens, draußen hupt und rauscht der Verkehr, gedämpft durch die Scheiben. Wenn Christian Berner seine Augen schließt, befindet er sich mitten auf einer Hauptverkehrsstraße. Wenn er sie wieder öffnet, blickt er auf einen schwarzen Flachbildschirm, auf dem lauter bunte Kästchen flimmern. Der 37-Jährige, seit fünf Jahren freier Hörspielproduzent, bastelt an einem seiner neuen Stücke, dem „Traffic Master“. Eine ironische Collage der Werbewelt. Oder wie Berner sagt: „Eine Parodie von Verkaufstonträgern“, eine kleine Abrechnung im penetranten Stil aggressiver Werbung, wie man sie etwa in Baumärkten antrifft.

Im Sommer hat Berner gemeinsam mit seinem Koproduzenten, dem Musiker Frank Schülge, die Collage entwickelt, die sie nun zum „Plopp“-Wettberwerb eingereicht haben. „Plopp“, so heißt der Publikumspreis, der im Rahmen der 16. Woche des Hörspiels am Freitagabend zum dritten Mal verliehen wird. Mit wachsender Resonanz, wie die Gewinnerin des ersten Wettbewerbs, Antje Vowinckel, feststellen konnte. 138 Einsendungen landeten auf dem Tisch der 28-Jährigen, die als Vorjurorin daraus eine Auswahl treffen musste. „Diesmal waren es mehr als die Jahre zuvor“, erklärt Vowinckel, die seit zwei Jahren als freie Hörspiel- und Feature-Autorin in Berlin lebt.

Die wachsende Anzahl der Einsendungen ist nicht nur ein Indiz dafür, dass der Wettbewerb immer populärer wird. Er ist eines von vielen Indizien, dass sich die freie Hörspielszene außerhalb der Produktionen für Rundfunkanstalten ebenso wie die Profibranche in den letzten Jahren lebhaft entwickelt hat. „Vom Hörspiel als Anachronismus, dem in der modernen Medienlandschaft ein baldiger Tod droht, ist nicht mehr die Rede“, meinen die Veranstalter der Hörspielwoche, ARD, Deutschlandradio und Akademie der Künste.

Christian Berner und sein kleines Einmann- und Eincomputerstudio sind ein sehr lebendiges Beispiel dafür. „Kopfkino“, sagt er, das sei für ihn der größte Reiz am Hörspiel. „Man kann richtig in Bilder eintauchen.“ Nebenbei setzt er die virtuelle Nadel des Computertonkopfs an eines der Kästchen, zieht eine Kurve über den Bildschirm und klickt wieder. „Auto gibt Stoff“ steht oben auf dem Kästchen. Mit der Kurve will Berner einen so genannten Panoramaeffekt erzielen. Das Auto soll klingen, als würde es von links nach rechts vorbeifahren. Berner klickt, und sein Geräusch fährt. Von der linken Box zur rechten. Zwischen den Ohren des Hörers entsteht ein Raum, während der Tonkopf über einen hellblauen Knubbel aus tausend dünnen Strichen fährt. Was auf dem Bildschirm so aussieht wie die Tintenklecksfiguren in Ratespielen, ist die optische Darstellung des Motorbrummens, der Beschleunigung und des Vorbeifahrens des Autos.

So oder ähnlich sehen alle Geräusche von Berners Tonwelt aus, wenn sie das digitale Schnittprogramm sichtbar macht. „Früher war das alles aufwändiger“, erzählt Berner, „die Möglichkeiten waren sehr begrenzt im Vergleich zu heute.“ „Früher“ heißt: als er anfing, auf Kassettendecks mit vier Spuren zu experimentieren. Als die Technik analog war und teuer. Als mit Bandmaschinen produziert wurde, die viel Platz benötigten und nicht so ohne weiteres in einer Wohnung oder einem Keller aufgebaut werden konnten. Seit es digitale Schnittprogramme gibt, ist alles für viele möglich. Einzige Voraussetzung: ein Computer, ein Schnittprogramm, ein Mikrofon, eine Soundkarte und ein kreativer Kopf. Ein Grund dafür, weshalb sich die Szene von freiem und Amateurhörspiel vor allem in Großstädten mit vielen Studenten und kreativ Tätigen gut entwickelt hat. „So wie es Hobbyfotografie schon immer massenhaft gegeben hat, so gibt es jetzt eben auch Hobbyhörspielmacher“, meint Vowinckel.

Doch nicht nur das wachsende Angebot spiegelt ein Revival des Hörspiels. Auch die Nachfrage ist ein Indiz dafür, dass das Interesse an Hörspielen wieder zunimmt. DDR-Stücke aus den 70ern im Fernsehturm am Alexanderplatz, Krimis in der Flughafenwartehalle mit Blick aufs Rollfeld und Liebesgeschichten im Planetarium unterm Sternenhimmel – die neue Lust am Hören beschränkt sich nicht mehr nur auf einsame Abende vor dem Radio. Sie lebt vom Reiz des gemeinsam Erlebten an besonderen Orten. „So wie man sich manchmal zu Videoabenden trifft, gefällt es vielen gut, gemeinsam Hörspiele zu hören und darüber zu diskutieren“, glaubt Vowinckel. Eigene Fantasie statt Fernsehbilderflut – das sei für viele der Reiz. Vergleichbar ist der steigende Trend zum Hörbuch, obwohl diese keine Hörspiele im klassischen Sinn sind, wie Vowinckel betont.

Während Produzenten und Medienwissenschaftler im Laufe der Woche in zahlreichen Workshops über Chancen und Entwicklungen des Hörspiels reden, wird der bestbesuchte Abend der Woche wohl wieder der „Plopp“-Award werden. Zumindest war es so in den letzten Jahren, wie Vowinckel erzählt. Für Christian Berner und seinem „Traffic Master“ wird es auf jeden Fall spannend. Vorerst ist der Tonkopf am Ende der Spuren angelangt. Es scheppert und kracht und splittert. Die Fahrt ist zu Ende. Die Zeit des „Traffic Master“ kommt vielleicht erst. Um was es sich dabei eigentlich handelt? „Um eine Fernbedinung für Ampelanlagen“, sagt Berner und grinst, ganz harmlos.

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