: Heiße Hände, kalte Füße
Zwei Tage nach Eröffnung der Hamburger Multifunktionsarena schmiss Handball-Bundesligist HSV Hamburg seine Premiere vor 8.400 Zuschauern und verlor gegen Wallau-Massenheim mit 23:26
aus Hamburg OKE GÖTTLICH
Eigentlich hätten es die Dämmplatten verhindern sollen. Über die Eisfläche der am vergangenen Freitag neu eröffneten Color-Line-Arena gelegt, sind sie dafür verantwortlich, dass die Kälte nicht nach oben steigen kann und auch andere Veranstaltungen neben Eiskunstlaufrevuen und Eishockey stattfinden können. Im ersten wirklichen Heimspiel der von Bad Schwartau nach Hamburg verpflanzten Handballer des HSV hätten die Spieler von Trainer Anders Fältnäs jedoch ein paar warme Socken gebraucht. Nicht nur angesichts der Premierennervosität und der Ungewissheit, ob das Wagnis des Umzugs in die 80 Millionen Euro teure und 16.000 Zuschauer fassende Halle auch vom Hamburger Publikum toleriert wird, sondern aufgrund des eisigen Untergrunds.
Obwohl Wallau-Trainer Martin Schwalb betonte, dass die Hamburger Handballer „eine tolle Truppe auf dem Eis hatten“, musste dem HSV zu Beginn der zweiten Halbzeit die Kälte in die Glieder gefahren sein. 15 Minuten lang konnten sie kein Tor mehr erzielen und überließen den defensiv cleveren Gästen nach einer 14:11-Halbzeitführung die Halle bis zu einem 14:16-Rückstand, den die Hamburger nicht mehr einholen konnten. „Wir haben momentan einfach nicht das Selbstvertrauen zu gewinnen“, mäkelte Fältnäs, der schon in den vergangenen Spielen empfindliche Niederlagen nach Halbzeitführungen verarbeiten musste.
Anders als bei der Schlappe im DHB-Pokal gegen den THW Kiel war allerdings die Kulisse. Wollten am vergangenen Mittwoch nur 2.100 Zuschauer, darunter 1.400 aus Kiel, in der alten Sporthalle Handball sehen, konnte das Arenadebüt wegen des Andrangs erst zehn Minuten später angepfiffen werden. Zwar waren viele der 8.400 Zuschauer ratlos, mit welchen Chören man das neue Team nun anfeuern sollte, aber rhythmisches Klackern mit den zuvor ausgeteilten Klanghölzern unter Anleitung des Blödelbarden Mike Krüger ergab einen ermutigenden Geräuschpegel.
So erhoffte sich HSV-Trainer Fältnäs nicht nur eine Bewältigung des Minderwertigkeitskomplexes seines auf dem 13. Tabellenplatz rangierenden Teams, sondern auch endlich wieder einen sportlichen Erfolg. Denn die mit 3,5 Millionen Euro ausgestattete Unternehmung hatte sich eher an den oberen sechs Mannschaften der Tabelle orientiert als an den unteren. Zwar wird der HSV von Verletzungssorgen geplagt, aber nur baldige sportliche Erfolge können den gewaltigen Erwartungsdruck durch die Verantwortlichen dämpfen. Geschäftsführer und Hauptsponsor Winfried Klimek zeigte bereits nach dem Ausscheiden im DHB-Pokal gegen Kiel erste Nervositätserscheinungen und stellte neben einigen Spielern auch Trainer Fältnäs in Frage.
Klimek, der wegen Konkursverschleppung im staatsanwaltlichen Fokus steht, versucht sich sonst aus dem operativen Geschäft herauszuhalten. Dennoch verließ der ehemalige Hockeynationaltrainer Werner Nowak als Geschäftsführer den HSV nach nur wenigen Monaten. Seine Nachfolgerin Alexandra Busemann, die erste Managerin der Handball-Bundesliga, weiß, dass der HSV mit dem finanziellen Engagement und den Hallenkosten, die sich auf ca. 12.000 Euro pro Spiel belaufen, „auf der Rasierklinge tanzt“. Den Mut lässt sie sich trotz derzeitiger sportlicher Misere allerdings nicht nehmen. „Immerhin versuchen wir es wenigstens.“
Das erkennen auch andere Bundesligisten an. „Solche Hallen sind wichtig für den Handball in Deutschland“, weiß Martin Schwalb, der mit „großem Respekt“ nach Hamburg gereist war. „Die Halle war bei den Spielern immer mal wieder Thema“, bestätigt Schwalb, „solche Hallen sind einfach etwas Besonderes für jeden Sportler, insbesondere für junge Spieler.“ Sein Team ließ sich jedoch von der Show nicht ablenken und spielte mit einer konsequenten Deckungsarbeit einen weiteren Erfolg ein.
Den Weg einer Entertainisierung bislang provinziell muffelnder Sportarten versucht Hamburg auch den ehemaligen München Barons zu ebnen. Als Hamburg Freezers startet das Eishockeyteam heute gegen den deutschen Meister aus Köln in seine neue Zukunft. Der Tabellenletzte der DEL versucht nach zwölf Auswärtsspielen in Folge nun mit einer Reihe aufeinander folgender Heimspiele noch die Playoffs zu erreichen. Kalte Füße sind dabei tabu. Mit finanziell besser geschliffenen Kufen unter den Füßen werden die Freezers nicht so schnell ins Schlittern geraten wie die Handballkollegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen