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Von vorn und im Profil

Keine beschwingte Soiree: Kammerspiele präsentieren Schlager der 30er Jahre von Richard Heymann, Walter Jurmann, Rudolf Nelson und Friedrich Hollaender, die von den Nazis ins Exil gezwungen wurden

Ach, sie sind doch immer wieder schön: Die immergrünen Lieder der 30er Jahre. Ein Stück vom Himmel nennt Regisseur Ulrich Waller seinen Liederabend an den Hamburger Kammerspielen. Doch es ist keine beschwingte Soiree aneinandergereihter deutscher Schlager. Denn in den 30er Jahren wurde zwar gesungen, die Unterhaltungsindustrie wurde aber zugleich von Nazihandlanger Goebbels gleichgeschaltet. Dies betraf Künstler wie Richard Heymann, Walter Jurmann, Rudolf Nelson und natürlich Friedrich Hollaender. Vor vielen lag das Exil und ein lebenslanges Gefühl von Entwurzelung.

Eine morbide Stimmung liegt dann auch über der Bühne, im Hintergrund ein schlichter Horizont mit Farbspiel. Ein Tisch mit Kerzenständer, ein paar Gläser. Auffällig sind die herumstehenden Koffer. Pianist Dietmar Loeffler schiebt sich dezent hinter seine Instrument. Dann lösen sich Schatten von den Bühnenrändern. „Irgendwo auf der Welt gibt‘s ein kleines bisschen Glück“, singen die sechs SängerInnen, eine Zeile aus dem alten Heymann-Song.

In diesem Augenblick steht der Erfolg des Abends schon fest, denn die Lieder sind erlesen, und die SängerInnen, die sich um den Tisch scharen, äußerst prominent. Ansehnlich von Ilse Welter in den Farben der 30er Jahre kostümiert. Der Pelz glänzt, der Strass flirrt. Max Hopp verdreht verzückt die Augen, wenn er davon singt, wie die Liebe mit einem Lächeln beginnt. Gewohnt entschlossen erklimmt Katja Riemann den Tisch und verkündet, dass sie doch so gerne ein „Sexappeal“ wäre, „von vorn und im Profil“.

Mit damenhafter Nonchalance schnurrt auch Natalia Wörner „Ich bin ein Vamp“, räkelt sich quer über den Tisch und entblößt ihre Netzstrümpfe. Selten mündet das ausdrucksstarke Spiel in Anzüglichkeit und Klamauk. So bei dem Auftritten von Burghart Klaußner und Imogen Kogge, die das launige Duett „Ich will sie küssen“ hinlegen.

Eine echte Entdeckung ist Anika Mauer, die Jüngste an der Rampe, die mit Blondhaar und Engelskostüm plötzlich mit tiefer Stimme die durchtriebensten Lieder anstimmt. Ob sie in „Starker Tobak“ ihre ersten Drogenerfahrungen mit einem Schulfüller besingt oder in „Du bist nicht der Erste“ ihren Geliebten enttäuscht. So hangeln sich die sechs durch die Themenblöcke „Berlin“, „Auf der Flucht“ und „Heimweh“. Zwischendurch rezitieren sie Texte von Walter Mehring, Anna Seghers oder Billy Wilder. Beim Heimweh fließen Tränen. Sie erinnern an eine bedrückende Historie, die zwar unvergesslich bleibt, über die sich aber einen Abend lang hervorragend hinwegsingen lässt.

ANNETTE STIEKELE

weitere Termine 12., 13.11., 2., 3.12., jeweils Hamburger Kammerspiele 20 Uhr

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