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Panik vor Robert T-Rausschmiss

„Die Frage ist, wohin wollen sie tausende Mitarbeiter vermitteln?“ Zur Bahn, zur Post – oder zur Aldi-Kasse?

aus Berlin und Gera JAN ROSENKRANZ

Irgendwann hat sie aufgehört, mitzuzählen. War es der vierte Umzug? Der fünfte? Egal. Sie ist Nomadin. Betriebsnomadin. Den Flur rauf und wieder runter, quer durch die Etagen. Seit dem letzten Umzug sitzen sie zu siebt im Büro. Eigentlich ist es ein Büro für drei. Da hat sie sich beschwert beim Chef. Der hat gesagt: „Ich kann Sie beruhigen. Hier wird es in Zukunft jede Menge Platz geben.“

Die Telekom schafft Platz. Angesichts der Schuldenlast von 64 Milliarden Euro und einem drohenden Rekordverlust von 28 Milliarden Euro hat Interimschef Helmut Sihler dem T-Konzern eine Sparkur verordnet. Bis Ende 2005 sollen über 50.000 Stellen gestrichen werden. Jede Fünfte ist betroffen – allein in Deutschland sind es etwa 39.000, da muss umstrukturiert werden.

„Ständig wird bei uns umstrukturiert. Wir wären ja schon froh, wenn man uns einfach in Ruhe arbeiten ließe“, sagt die aufgebrachte Betriebsnomadin. Sie hat es langsam satt. Mehr kann sie nicht sagen, denn trotz allem hängt sie an ihrem Job bei T-Systems, der Großkundensparte der Telekom. Vor ein paar Wochen erst haben alle noch mal unterschreiben müssen, keine Interna auszuplaudern. Andernfalls: sofortige Kündigung. In einem Unternehmen, in dem mancher Kollege gefeuert wurde, weil er in der Kantine über den damaligen Boss Ron Sommer gelästert hat, ist jeder bei egal welcher Frage hochgradig nervös.

Verdammt nervös ist auch der Mann in der Berliner Pinte. Ende dreißig ist er, Vater auch, trägt eine schwarze Monteursjacke, darauf prangt das magentafarbene T. Andreas Schmidt hat sich ein kleines Bier bestellt. Auf dem Kneipentisch liegt ein eng beschriebenes Blatt Papier. Damit er nicht vergisst, was er erzählen will und – noch wichtiger – was nicht. Er hat viel durchgestrichen. Sein richtiger Name darf auf keinen Fall genannt werden. Deshalb darf nur geschrieben werden, dass er als Service-Monteur in einer Berliner Niederlassung arbeitet. Deshalb hat er vor dem Treffen in die Internet-Suchmaschine „Umgang mit Journalisten“ eingegeben. Schmidt will keinen Fehler machen.

„Die Identifikation der Mitarbeiter mit der Telekom und das Engagement für die Firma ist noch immer sehr hoch“, liest Undercover-Schmidt vom Blatt ab, als hätte ihn das Maskottchen Robert T-Online geschickt. Er will nichts Schlechtes sagen über die Firma, die irgendwie immer noch seine Firma ist. Lügen will er aber auch nicht, und so fügt er an: „Bei aller Loyalität, langsam stellt sich bei den Kollegen schon Resignation ein.“ Bei aller Loyalität, Schmidt und Kollegen können sich einfach so manches nicht vorstellen. Die Auftragsbücher sind voll und so viele Kunden genervt, weil sie immer wieder vergeblich warten auf die viel beschäftigten Telefonmänner. „Eigentlich ist es doch so: Kürzen geht nicht, noch mehr Ranklotzen auch nicht“, sagt Schmidt.

Der Vorstand der Telekom ist anderer Meinung. Schließlich ist das Netz fertig ausgebaut, die Leitungen liegen, die Anschlüsse auch. Deshalb kann nicht nur gekürzt werden. Es muss. Ein guter Grund für Panik.

Früher einmal, da war die Telekom ein Hort der Gemütlichkeit. Alles warm und nett und gut bezahlt. Da hieß die Telekom noch Post. Dann kam Ron Sommer und mit ihm der Börsengang. Alles dynamisch und spiegelverglast. Da war die Telekom noch Start-up. Dann kamen teure Firmenkäufe und UMTS und brachten Rekordverlust. Ist heute die Angst so groß wie der Schuldenberg?

„Nee, die große Panik ist bei uns bisher nicht ausgebrochen“, sagt Andreas Schmidt. Er arbeite doch nicht für einen Mittelständler kurz vor dem Konkurs. Aber im Gegensatz zu dem Monteur berichten Betriebsräte unter der Hand von Agonie und blankem Entsetzen. Inzwischen glauben viele, dass es eng wird. Besonders eng für die Mitarbeiter im Osten, denn die sind nicht verbeamtet. Spätestens Ende 2004 läuft der Schutz vor betriebsbedingter Kündigung aus. Etwas weniger eng für die Mitarbeiter im Westen, die mehrheitlich Beamte sind und denen nicht gekündigt werden kann. Ost wie West eint eine große Sorge. Die heißt PSA – Personal-Service-Agentur, eine Kreuzung aus internem Arbeitsamt und Leiharbeitsfirma.

Bereits bis Ende des Jahres sollen die ersten 6.000 als überzählig identifizierten Mitarbeiter in diese PSA überführt und von hier aus weitervermittelt werden, erst leihweise, dann für immer. Zur Bahn, zur Post – oder …? Gruseln, Grauen, Aldi-Kasse! Auch die ist inzwischen so vorstellbar, dass Betriebsräte und Ver.di-Funktionäre explizit darauf verweisen: Vermitteln, ja – Aldi-Kasse, nein.

Im achten Stock eines Plattenbaus in Berlin-Mitte sitzt Ver.di- Funktionär Maik Döding und macht sich Sorgen. „Die Frage ist doch: Wohin wollen sie denn tausende Mitarbeiter vermitteln?“, fragt er und blickt streng durch die Gläser seiner randlosen Brille. Am Gürtel hängt das Handy, am Kragen der Freisprechkrempel und am Kinn der moderne Grunge-Bart. Döding ist der recht jung-dynamische Landesfachgruppenleiter, zuständig für die T-Mitarbeiter der Region Berlin-Brandenburg. Klar, die Arbeitgeber sagen, nur die Ruhe, und verweisen stets auf die Bahn, denn die allein suche Techniker in vierstelliger Höhe. Doch Döding hat mal nachgezählt: Selbst inklusive aller Gerüchte über mögliche Stellen bei Bahn und Post und wo auch immer, er kommt höchstens und wohlwollend auf ein-, zweitausend Jobs. Mehr nicht. Hinzu komme, sagt Döding, dass T-Mitarbeiter für andere Firmen viel zu teuer sind.

Markus Schönfeld sitzt zwischen viel Lila in einem Restaurant im thüringischen Gera und sägt an einem Schnitzel. „Das ist doch die absolute Verarschung“, sagt er. „Man wird die Leute ein bisschen hin und her versetzen und hoffen, dass sie von allein gehen. Der Rest wird rausgemobbt.“ Der Zopfträger ist Geschäftsführer des Thüringer Büros der Kommunikationsgewerkschaft DPVKOM. Die ist zu klein, um überhaupt an Tarifverhandlungen teilnehmen zu dürfen. Aber aufmüpfig. Die DPVKOM ist Ver.di nicht beigetreten und hat den letzten Tarifvertrag namens „TV Ratio“, der die Personal-Service-Agenturen überhaupt ermöglicht hat, gar nicht erst unterschrieben. Der Telekom ist das egal, Ver.di nicht. Denn Schönfeld kann jetzt sagen: „Ver.di hat sich die Lohnerhöhung von 3,1 Prozent mit Stellenstreichungen erkauft.“

In der Geraer Telekom-Niederlassung soll es ein Drittel der Stellen kosten. Ein Drittel heißt fast 500. Das ist viel für eine 100.000-Einwohner-Stadt, in der früher tausende in Betrieben wie dem VEB Modedruck Arbeit fanden und heute über 16 Prozent gar keine mehr. Bis vor kurzem galt hier wie überall die Telekom als sichere Bank. „Die Leute sind absolut sauer. Aber sie trauen sich nicht, den Mund aufzumachen. Die haben eine Scheißangst“, sagt Daniel Füg. Tagsüber kämpft er im Call-Center an der Kundenfront. An diesem Abend sitzt er neben seinem DPVKOM-Kollegen Schönfeld und nippt Fanta. Füg ist zwar erst 23 Jahre alt aber schon Mitglied im Betriebsrat. Einer von wenigen, die nicht zu Ver.di gehören.

„Man kann zusehen, wie die Ver.di-Leute im Betriebsrat langsam blass werden“, sagt Füg. „Die sollen jetzt helfen, das umzusetzen, was ihnen die eigene Tarifkommission eingebrockt hat“, sagt Schönfeld. Den meisten Mitarbeitern wird erst allmählich klar, was auf sie zukommt. Die Telekom schickt eigens zu diesem Zweck die „Roadshow“ durch die Lande – eine Informationsveranstaltung zum Thema Personalabbau und PSA mit Referenten aus der Zentrale und Betriebsräten aus den Niederlassungen.

Vor kurzem hat die „Roadshow“ in Gera Halt gemacht. Es wurden Vorträge gehalten und Folien aufgelegt. Eine zeigte fröhliche Comic-Anzugträger, die begeistert einem Haus mit der Aufschrift PSA entgegenstreben. Doch statt Applaus gab es nur erregtes Geraune im Saal. In manchen Ecken wurde sogar hysterisch gekichert. „Danach mussten sich die Ver.di-Betriebsräte die Frage gefallen lassen: Was habt ihr uns da denn ausgehandelt?“, sagt Daniel Füg. „Absolute Verarsche“, sagt Schönfeld.

So viel Frust, so viele, die sich beklagen und einige, die Briefe schreiben wie die wütenden Ver.di-Betriebsgruppen aus Thüringen und Sachsen an Rüdiger Schulze, den stellvertretenden Ver.di-Chef und Vize des Telekom-Aufsichtsrates: „Zunehmend gerät auch Ver.di in die Kritik der Mitglieder vor Ort“, berichtet die Ver.di-Basis. Man werde „mit ersten Austrittsdrohungen konfrontiert“, während der Bundesvorstand „selbstzufrieden“ aus Tarifverträgen zitiere.

Wenn es im Aufsichtsrat heute und morgen um einen neuen Vorstandschef geht, hoffen die Mitarbeiter, dass es einer wird, der Gnade walten lässt. Viel mehr fällt ihnen nicht ein. Ver.di sammelt Unterschriften, auf dass den Bossen bange werde. DPVKOM motzt, auf dass alle merken, welch schlechten Tarifvertrag Ver.di ausgehandelt habe. Der Service-Monteur Andreas Schmidt beruhigt sich mit mutigen Vorhersagen: „Das sind doch alles Zahlenspiele. Wenn man tatsächlich jeden Fünften entlässt, holt man die alle wieder zurück.“ Das klingt kein bisschen nach Robert T-Online. Das klingt nach Hypnose. Schmidt nippt am Bier, faltet den eng beschriebenen Zettel und lässt ihn in seiner schwarzen Monteursjacke hinter dem magentafarbenen T verschwinden.

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