: Demokratie geht anders
DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
Hartz-Kommission zum Arbeitsmarkt, Rürup-Kommission zur Reform der Sozialversicherungen, Weizsäcker-Kommissionen zur Bundeswehr, zum Fernsehen und zur Verteilung der Flutopferhilfen; Ethik-Kommission beim Gesundheitsministerium, Ethik-Enquete des Bundestages, Nationaler Ethikrat; und so fort. Dazu die kommissionierenden Ich-AGs: Graf Lambsdorff für die Zwangsarbeiterentschädigung, Burkhard Hirsch für die Aufklärung der schwarzen Kohl-Kassen, auch Leutheusser-Schnarrenberger kommissionierte im Auftrag des Kanzleramtes. Letztere drei mit dem zarten Aroma sozialliberaler Koalitionsoptionen, dass die Grünen nie an ihrer Unersetzlichkeit leiden mögen.
„Kommission“ kommt von lat. committere, was „zusammenbringen, anvertrauen“ heißt und im lat. mittere („laufen lassen, senden“) wurzelt. Hingegen weist die „Delegation“ im Wortstamm den „Legaten“, den „mit gesetzlicher Vollmacht Ausgestatteten“ auf. Wo man hindelegiert, wächst nicht Widerspruch noch Verwässerung, und wenn doch, so ist’s schlecht delegiert. Die gesetzliche Vollmacht bindet den Delegierten an das Rechtssystem und seinen Auftraggeber – heute: die parlamentarische Demokratie. So wird die Kommission als mit gesetzloser Leermacht kenntlich; irgendwo zwischen willkürlicher Berufung, unverbindlichem Auftrag und ehrenreichem Abschied, wenn das Ergebnis nicht behagt. Immerhin erfreulich, wenn die politische Wortwahl einen Vorgang etymologisch exakt als das definiert, was er auch tatsächlich ist: „Entsorgungspark“ – war für die Vollversammlung lebensgefährlichen Strahlenschrotts ein Wortverbrechen. Da dies nicht unbemerkt blieb, mögen wir die heute grassierende Kommissionitis polemisch einen politischen Entsorgungsparkplatz nennen.
Eine verquere Allianz klagte in den 90ern gegen die aus allerlei Perspektiven undemokratische EU- … hm, genau: -Kommission. Der Wahlbürger wählt ein Parlament, dieses einen Kanzler, der wiederum Minister ernennt, die wiederum Kommissionsmitglieder entsenden – die, nach solcherart fünffach vermitteltem und umgelenktem Wählerwillen – die Vollmacht der Großmacht Europa auszuüben befugt sind. Ein paar fundamentalistische Grüne einerseits und der sich eilends verhaidernde Exkommissar Manfred Brunner scheiterten mit dieser Klage. Deutlich links von dieser politischen Konstellation kämpften etwa die deutschen Burschenschaften 1848, um die Macht im angestrebten Deutschen Bund den Fürsten zu entreißen und dem Paulskirchenparlament zu übertragen. Die deutschen Farben Schwarz-Rot-Gold gemahnen deshalb an das Lützow’sche Freikorps, vulgo: Urdemokraten-Guerilla, schwarzer Uniformrock, rote Aufschläge, goldene Knöpfe, Gaudeamus igitur, Prösterchen.
So kommt man – weder vom Wortsinne her noch aus der historischen Perspektive – nicht länger daran vorbei, zum Begriff der Kommission das Adjektiv „vordemokratisch“ zu stellen. Gerade zur Geschichte der deutschen Staatwerdung gehörte kennzeichnend die Unfähigkeit, sich ohne Not einer Herrschaft unterzuordnen. Schon den Germanen, staunte Caesar, trieb es in die Einsamkeit, die Trunksucht, die Abwehr alles Fremden. Landwirtschaftliche Alltagsfron überließ er gern der Gattin, doch kregel ward der frühe Hans, wenn’s ans Kämpfen ging. Nur dann, und dies nach blutigen Lehren, fand der Kreis der Stammeshäuptlinge sich zum Thing zusammen und bestimmte einen, der auf Kriegsdauer herumkommandieren möge. Später hieß gerechterweise auch ein Bundespräsident so: Herzog.
Ein undankbarer Job, denn zog er das Heer in die Niederlage, war’s um ihn geschehen; obsiegte er, neidete man ihm Erfolg und Beute und tötete ihn auch. Tja, Herr Hartz, dumme Sache, das. Die direkte Blutslinie vom Teutoburger Wald in den VW-Vorstand mag einer eher grobschlächtigen Geschichtsdeutung zuzuordnen sein. Jedoch die blanke Idee menschelt überzeugend: Normalerweise machen wir nix, aber wenn’s kracht, holen wir uns einen, der wenigstens hinterher schuld ist.
Demokratie geht anders. Immerhin versucht der deutsche Parlamentarismus, mit der Anhörung sachkundiger Bürger, mit den Arbeitskreisen und parlamentarischen Enquetekommissionen den tief verwurzelten Glauben an andererleuts gute Ideen Rechnung zu tragen. Den Abgeordneten sind Instrumente zum Austrag gesunden Selbstzweifels gegeben; das System ist elastisch, um stabil zu bleiben. Vielleicht spielt auch der existenzielle Druck mit hinein, unter des Wählers sehendem Auge nicht bei Fehlern erwischt zu werden. In der letzten Legislatur Kohls klagte es allgemein, die Vertretung des Volkes schiebe manche riskante Entscheidung der „Ersatzregierung Bundesverfassungsgericht“ zu.
Vielleicht heißt dies, den Gedanken zu wagen, dass wir es mit ebenso vor- wie aber auch schon nachdemokratischem Handeln zu tun haben. Hat ganz gut funktioniert ’ne Zeit lang, aber jetzt schieben wir so viel offenkundige Probleme vor uns her, und nix passiert. Selbst der Präsident des Hohen Hauses attestiert seiner Truppe aus vielerlei Gründen einen Bedeutungsniedergang; gerade den ostdeutschen Wolfgang Thierse muss das schmerzen – so sehr lange durften die Ossis einen funktionierenden Parlamentarismus ja nicht ausprobieren. Die Idee, dass es neben und jenseits aller legalen Mühsal einen Helden, ein Kompetenzwunder (Da! Der Stoiber also auch!) geben möge, scheint übermächtig; dem Deutschen träumt von der Expertokratie. Noch immer, schon wieder.
Ruhig, Brauner. Vielleicht ist ja alles nur Spaß. Als zur Stammzellenforschung Ministerin Fischer kritischen Sachverstand um sich sammelte, sprang die Bundestagsenquete ein. Als die sich auch gegen Eingriffe ins Erbgut verschwor, wurde halt flugs das dritte Gremium berufen – der Nationale Ethikrat, der endlich die gewünschte Meinung: jawollja! lieferte. Ebenso spitzbübisch von Schröder und Schily, die christdemokratischerseits verhasste Christdemokratin Süssmuth zur Chefin ihrer Zuwanderungskommission zu machen. Im Gegenzug kommissioniert die Union den eher liberalen Müller zum gleichen Thema. Zur Strafe nutzt Schily eher dessen als Süssmuths Ergebnisse, was eh auch ganz wurscht ist, weil das große Finale der Meinungsbildung in Form eines Stoppessen-Kindergeburtstagsspaßes im Bundesrat stattfindet. Hamwer jelacht.
Enquete kommt, um den Kreis zu schließen, übers Französische (von lat. inquirere) und heißt „Nachforschung, Umfrage“. Da haben wir es doch. Umfrage! Der Bundestag transformiert sich in eine Agentur, und wer die erfolgreichsten Kommissare einsetzt, wird was. Lieber auch die Querulanten vorher als Kommissare adeln, als sich hinterher das Genöle anhören zu müssen. Da die nächste Wahl stets die schwerste ist, leuchtet die Installation des neuen Parlamentarismus als Dauerumfrage ein. Und endlich einmal ist die inzwischen wieder gern so geschmähte Quasselbude dem verhassten Wichtigtuer Fernsehen eins voraus: Für die gleiche Idee brauchte RTL viel länger und startet erst demnächst sein – „Deutschland sucht den Superstar“.
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