: Für alle Extras sollen sich Patienten privat versichern
Neuer Kommissions-Chef Bert Rürup kritisiert seine Auftraggeberin Ulla Schmidt: Grundlegende Reformen statt „konzeptionslosem Herumdoktern“
BERLIN taz ■ Wenn Ulla Schmidt (SPD) heute im Bundestag ihr Notgesetz-Paket zu Gesundheit und Rente verabschieden lässt, rüstet sich einer ihrer Kritiker schon für die Arbeit unter Federführung ihres Ministeriums. Bei der Vorstellung des Sachverständigengutachtens ließ Bert Rürup, Wirtschaftsweiser und künftiger Kommissionschef, kaum ein gutes Haar an den Reformen Schmidts. Die Erhöhung der Bemessungsgrenze bei der Rente verschärfe die Probleme. Der Versuch, die Krankenkassenbeiträge stabil zu halten, sei „konzeptionsloses Herumdoktern an Symptomen“. Ab Anfang Dezember wird Rürup, der die Bundesregierung seit Jahren und unter CDU wie SPD in sozialpolitischen Fragen berät, versuchen, all das besser zu machen.
Ein Blick auf die bisher durchgesickerte Besetzungsliste der Rürup-Kommission, die sich inzwischen der weiten Welt der „nachhaltigen Sicherung der Finanzierungsgrundlage der sozialen Sicherungssysteme“ widmen soll, lässt aber auch erahnen, in welche Richtung es gehen könnte. Der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach berät Schmidt schon lange und gilt als Verfechter von mehr Wettbewerb durch mehr Transparenz der Arbeit von Ärzten und Kassen. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen mahnt seit Jahren vor einer Überbeansprachung der jungen Generation als Einzahler in Renten- wie Krankenkassen. Der Berliner Gert Wagner ist mit der Reform der Krankenversicherung in Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung befasst. Weiter im Gespräch sind DGB-Chef Michael Sommer oder ein Vertreter sowie der Mannheimer Professor Axel Börsch-Supan. Wer sich um die von den Grünen angeblich ausgehandelte Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit kümmern soll, darf wohl als offen gelten. Nach Angaben Rürups, der selber eine Liste mit Vorschlägen eingereicht hat, soll die Kommission allerdings „deutlich mehr“ als sechs Mitglieder haben. Schmidt will die Besetzungsliste in der kommenden Woche bekannt geben.
Das Studium des „Gesundheitspolitik“-Kapitels des Gutachtens, für das Rürup persönlich verantwortlich ist, weist aber auch schon den Weg in Konflikte: Zwar will auch Rürup die Beschneidung der Macht von Ärzten und Apothekern sowie mehr Qualität durch mehr Wettbewerb. Andererseits fordert er eine Reihe Einschnitte, die über die Vorstellungen Schmidts hinausgehen. So sollen Erwachsene, die nicht chronisch krank sind, für jeden Arztbesuch eine Gebühr entrichten. Gesetzliche Kassen sollen nur noch Grundleistungen abdecken, für „Wahlleistungen“ – von Zahnersatz bis zu Akupunktur und Naturheilmethoden – sollen Private zuständig sein. Und: Die Kassenbeiträge sollen sich nicht mehr am Einkommen orientieren. Rürup plädiert für eine „Pro-Kopf-Pauschale“: Jeder zahlt die gleiche Summe, der Ausgleich zwischen Arm und Reich soll durch das Steuersystem und andere Transfers finanziert werden. Ganz im Sinne des obersten Credos der Wirtschaftsweisen: „Eine grundlegende Reform ist ohne Alternative.“ JEANNETTE GODDAR
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