verhandlungssache
: „Is it the end of diplomacy?“

Der britische Botschafter und Robbie Williams beim Lunch

„Es ist gar nicht so leicht, über das zu reden, was man tagtäglich so tut“, sagt Sir Paul Lever, Botschafter des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, in geschliffenem Deutsch. Dann liefert er aber doch die bislang umfassendste Aufklärung über das, was die Ringvorlesung „Konzepte der Diplomatie“ der Humboldt-Uni jeden Donnerstag zu vermitteln sucht. Sir Paul präsentiert schlichtweg ein „Gesamtkonzept“ der Diplomatie, denn „ich habe gelernt, dass Deutsche Gesamtkonzepte mögen“.

Die Debatte, warum und zu welchem Zweck Staaten heute noch Diplomaten brauchen, wo doch alles viel schneller per E-Mail und Fernsehen zu erfahren ist, ist nicht ganz neu. Wandlungsahnungen beschlichen offenbar schon Lord Palmerston, als er 1840 seinen ersten diplomatischen Bericht per Telegraf erhielt. „My God, it’s the end of diplomacy“, soll der Außenminister gerufen haben.

Ähnlich entsetzt war wohl der damalige Botschafter zu Paris, Paul Campbell, als ihn 1905 sein Außenminister – während eines Soupers – erstmals anrief. „Mon Dieu“, empörte sich der Diplomat, „cette carrière est fichu“ – dieser Beruf ist erledigt. Das letzte Jahrzehnt veränderte den zweitältesten Beruf der Welt drastischer, meint Sir Paul, als die vergangenen 100 Jahre. Der zweitälteste, betont der Brite trocken. Zum ältesten Beruf gäbe es jedoch Ähnlichkeiten. Sicherlich hätten schon Steinzeitpolitiker Unterhändler ausgesandt, wenn es um Nachbars Höhle ging. Zur vollen Blüte, erfährt das Auditorium der Humboldt, sei die Diplomatie in der Renaissance gediehen, als der Handel an Dynamik gewann und Handelsstädte in den fremden Ländern Botschafter und Vertreter ihrer Interessen verlangten.

Die diplomatische Immunität genießen Gesandte schon seit dem 15. Jahrhundert, viele hätten ihre anfänglich rauen Missionen sonst wohl kaum überlebt. Der geschliffene Ton, der sei erst später zum Metier gekommen. Dazumal gehörte es zu den vornehmsten Aufgaben eines Gesandten, heiratswillige Prinzessinen anzuwerben und Alkohol zu verdauen.

Was genau der Repräsentant eines Staates ab der Neuzeit zu tun hat, das fixierte 1815 auf dem Wiener Kongress ein Regularium, welches 1961 im Wiener Übereinkommen auf den neuesten Stand gebracht wurde. Und heute? Die Bevölkerung hat zunehmend ein schlechtes Bild vom Diplomaten an und für sich. Dafür hat Sir Paul Lever, der stets in europäischen Ländern diente, gewisses Verständnis. „Wir von der Britischen Botschaft bezahlen daher unsere Knöllchen ausnahmslos“, betont der Gentleman und beklagt, dass diplomatische Privilegien allzu oft missverstanden und ausgenutzt werden. „Wir müssen also aufpassen, uns nicht lächerlich zu machen.“

Was soll also eine ausländische „Exzellenz“ in einem EU-Land, wenn zwischen beiden Staaten im Grunde alles in Verträgen, Abkommen und Gesetzen geregelt wird? Sir Paul meint, da könne nur ein neues Verständnis von Diplomatie helfen. Ein Konzept, das berücksichtigt, dass heute ein Repräsentant eines Staates zu gleichen Teilen auch Informationssammler, Imageberater, Verkäufer und Berichterstatter sei. „Ich will Einstellungen ändern“, sagt der Brite, das sei sein Ziel. „Public diplomacy“ heißt der neue Stil. Statt Geheimberichten und Verbalnoten lädt Sir Paul lieber mal die Rolling Stones zum Lunch nach Mitte oder kürzlich Robbie Williams. Great Britain ist ein offenes, fortschrittliches Land, in dem es weniger regnet, als jeder Deutsche denkt – wenn die Deutschen das begreifen, dann hat Sir Paul schon viel erreicht.

ADRIENNE WOLTERSDORF

Nächsten Donnerstag, 18 Uhr c. t.: Mordechay Lewy, Israel