: Der Penis-Prozess
„Bild“-Chef Kai Diekmann verklagt die taz wegen einer Wahrheit-Satire. Prozessbeginn ist am kommenden Dienstag in Berlin. Redakteur Michael Ringel im taz-Interview: „Wir haben nichts anderes getan, als die Mittel der ‚Bild‘-Zeitung zu benutzen“
taz: Herr Ringel, was hat die taz nur gegen die Bild -Zeitung und ihren Chef Kai Diekmann?
Michael Ringel: Die taz hat eigentlich überhaupt nichts gegen Bild oder Kai Diekmann. Schließlich ist Bild die beste Zeitung der Welt, und Diekmann ist der seriöseste Chefredakteur Deutschlands. Sonst hätte die taz auch nicht ihre Titelseite dem 50. Geburtstag von Bild gewidmet.
Na ja, da titelte die taz auch: „50 Jahre Bild – Jetzt reicht’s!“
Was sicherlich reicht, ist eine Art des Boulevardjournalismus, der es sich zum Ziel gemacht hat, in die Unterhosen anderer Menschen zu schauen. Das ist einfach nur widerlich.
Kai Diekmann klagt jetzt gegen die taz. Wegen eines Artikels auf der Wahrheit-Seite, der genau das macht: in Kai Diekmanns Unterhose schauen!
Moment! Wir haben überhaupt kein Interesse an dem, was bei Diekmann untenrum passiert. Aber: Wer den ganzen Tag die Unterhosen fremder Menschen aus dem Fenster hängt, der sollte mal spüren, wie das ist, wenn die eigene Unterhose im Wind flattert.
Macht man sich dann nicht gemein mit solch einem Bremsspurjournalismus?
Das kann leider nicht ausbleiben, aber das Wesentliche ist ja die Stoßrichtung der Wahrheit. Während Bild genüsslich Menschen in den Dreck zieht, in dem sie private und intime Dinge öffentlich ausbreitet, geht es der Wahrheit mit ihren fiktiven Satiren darum, diese Vorgehensweise zu entlarven.
Und dazu muss man den Penis von Kai Diekmann zum Thema machen?
Wir würden auch gern über appetitlichere Dinge berichten. Doch Diekmann hat die Bild in den vergangenen Jahren zu einer Blut-und-Sperma-Schleuder gemacht, die ihresgleichen sucht. Geht es in Bild dann doch mal um Politik, geht Diekmanns Blatt gleich der Gaul durch. Ich erinnere nur an die Geschichte mit dem gefälschten Foto von Jürgen Trittin, der angeblich bewaffnet an einer Demonstration teilgenommen haben soll.
Diekmanns Anwälte behaupten nun, der Wahrheit-Artikel über die Penisverlängerung könne von einem Durchschnittsleser, der die Wahrheit nicht kennt, auch als Tatsachenbericht verstanden werden?
Ach, da unterschätzen sie aber die taz-Leser. Egal, ob sie die Wahrheit-Seite nun hassen oder lieben, die Leser kennen doch die Wahrheit und wissen, was sie von der Seite zu erwarten haben. Die sind schon klug genug, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Was übrigens grundsätzlich eine Aufgabe der Satire ist: den Lesern keine Meinung vorzugeben, sondern ihnen neue Perspektiven zu eröffnen.
Nun bestreiten die Springer-Anwälte gar nicht, dass es sich um eine Satire handelt, aber beklagen, dass es eine strafwürdige Schmähkritik sei, wenn man Diekmann unterstellt, er habe einen zu kleinen Penis und Minderwertigkeitskomplexe und habe sich deshalb sein Geschlechtsorgan verlängern lassen. Hat die Wahrheit nicht Diekmann als Person angegriffen?
Oje, die Psychologie der Macht. Das mag jeder selbst entscheiden, warum Diekmann so heftig reagiert, wenn es um sein Gemächt geht. Wo er doch in seinem Blatt am liebsten über Geschlechtsorgane von Bohlen und Konsorten berichtet. Wir haben nichts anderes getan, als in einer fiktiven Geschichte die Mittel der Bild-Zeitung zu benutzen.
Warum verklagt Diekmann die taz? Herr Ringel, haben Sie eine Vermutung?
Über seine Motive kann nur er selbst etwas sagen. Aber eins ist sicher: Diekmann ist nicht dumm, er wird nur schlecht beraten. Diekmann möchte gern in der seriösen Liga der Chefredakteure mitspielen. Wenn man ihn aber öffentlich in genau die Schmuddelecke drängt, in die er sich ja selbst hineinbegeben hat, dann dreht er durch. Diekmann hätte sich einen Tag über die Satire ärgern sollen. Am nächsten Morgen hätte er sagen müssen: „Heftige, aber gute Satire!“ Wie sein großes Vorbild Helmut Kohl immer einfach alles an sich abperlen ließ. Dann hätte er gewonnen. So …, warten wir’s ab.
Und was ist, wenn die taz den Prozess verliert?
Dann muss die taz – wenn es nach Diekmann ginge – 30.000 Euro an jemanden bezahlen, der hundertmal mehr verdient als jeder taz-Redakteur; der im Gegensatz zu unseren 120.000 Lesern jeden Tag zwölf Millionen Menschen erreicht. Dann hat die Macht Springers sich durchgesetzt.
War es das dann wert, einen so teuren Artikel zu drucken?
Für die taz ist eine solche Summe von 30.000 Euro – und dazu kommen ja noch die immensen Prozess- und Anwaltskosten – sicher existenzbedrohend. Aber wer, wenn nicht die taz, soll denn heute in einer immer einheitlicher werdenden, von Großkonzernen dominierten Presselandschaft zeigen, wie das Schmutzblatt Bild funktioniert? Notfalls müssen wir an die gute alte Solidarität der taz-LeserInnen appellieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen