: Konfrontationen mit der Gegenwart
Lärmen, Klingen, Polarisieren und Erhellen: Die Tagung der Projektgruppe für Neue Musik über musikalische Reaktionen auf die politische Welt
Gibt es eine antifaschistische Musik? Die Frage ist so alt wie der Faschismus. Die Antworten so kontrovers wie eh und je. Der in Tel Aviv geborene und in Stockholm lebende Dror Feiler macht das Faschistische in der Musik in perfekten Harmonien und perfekten Strukturen, im „cleanen“, vom Rauschen bereinigten Sound, dingfest.
Dagegen setzte er auf der 13. Tagung der Bremer „Projektgruppe Neue Musik“ einen infernalischen Saxophon- und Elektronik-Lärm, der Teile des Publikums aus der Stephanikirche trieb. Adorno, dessen musikphilosophische Gedanken mehrfach die folgenden Diskussionen bestimmte, hätte in dieser statischen Musik wahrscheinlich die Wiederkehr faschistischer Gewalt in der Musik identifiziert. Der Titel des Stückes, „The Return of The Real“, schillert dadurch umso mehr.
Der Titel der Tagung: „Reaktionen. Musikalische Konfrontationen mit der Gegenwart“. Zu Beginn sollte eine Klärung der Begriffe erfolgen. Micha Brumlik, einer der beiden Moderatoren, schlug eine Unterscheidung des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann vor: Musik und Politik sind zwei unterschiedliche, nicht anschlussfähige Systeme. Funktion der Musik sei es, Ambivalenzen zu generieren, die der Politik, Klarheit herzustellen.
Eine enge Unterscheidung, die folglich auch nicht unhinterfragt blieb – und schnell wieder vergessen war. Sie hätte aber durchaus hilfreich sein können, um Diskussions-Sackgassen zu vermeiden. So hatte die Einschätzung der argentinisch/uruguayischen Komponistin Graciela Paraskevaídis, sie würde eine nutzlose Kunst betreiben, nicht nur etwas mit ihrer sozialen Lage als Komponistin Neuer Musik im krisengeschüttelten Lateinamerika zu tun. Vielmehr ging sie von einem Politikbegriff aus, dem es um reale Veränderung der ökonomischen und politischen Lage geht.
Der in Deutschland lebende Komponist Dietrich Eichmann stieß sich an dem Wort „nutzlos“. Für ihn sei es bereits eine politische Wirkung, wenn nach dem Konzert Menschen auf ihn zukämen, die gerade eine neue musikalische Welt kennengelernt hätten. Oder, wenn das Publikum durch das Ereignis Konzert in Buh- und Bravo-RuferInnen gespalten würde, wie bei Dror Feiler geschehen.
Nun war selbstverständlich keiner der Anwesenden so naiv zu glauben, man könne mit einer musikalischen Komposition ins politische Tagesgeschehen eingreifen. Was also kann Musik leisten? Der Bremer Komponist Christoph Ogiermann glaubt nicht an die Autonomie des Kunstwerkes. Wirkung und Aussage seien kontextabhängig. Ein Werk könne nicht so gestaltet werden, dass es nicht im Kapitalismus kooptierbar, also im kapitalistischen Sinn verwendungsfähig sei. Das sei nur eine Frage der Zeit: Nicht undenkbar, dassSchönberg in näherer Zukunft zur Legitimation von Herrschaft verwendet würde. Ogiermanns, auf lange Sicht selbstverständlich auch zum Scheitern verurteilter Versuch, dem entgegenzuwirken, besteht darin, die Partituren so zu schreiben, dass die Anwesenheit des Komponisten beim Einstudieren zwingend ist. So entsteht eine enge kollektive Zusammenarbeit von Komponist und Interpret am Werk. Ein kollektives Ideal, dass er in seiner Komposition „DIF“ für fünf Blockflöten und Zuspielband auch strukturell hörbar machte – die fünf Flötistinnen repräsentieren ein Kollektiv freier Individuen. Womit der nächste Fragenkomplex angeschnitten wäre. Wie drücken sich politische Absichten oder Inhalte musikalisch aus?
Interessanterweise waren fast alle präsentierten musikalischen Arbeiten Instrumentalwerke. Der eindeutigen Verbalisierung politischer Inhalte wurde offensichtlich kein Vertrauen mehr geschenkt. Die Spannbreite reichte von Samir Odeh-Tamimis Komposition „Hutáf Al-Arwáh“ („Der Schrei der Geister“), eine von stolzen sechs Uraufführungen des Festivals, bis Frederic Rzewskis Klassiker „The People United Will Never Be Defeated!“. Odeh-Tamimis wollte mit seinem teilweise an Varèse erinnernden Werk seinen hilflosen Gefühlen angesichts des Fotos eines israelischen Panzers und eines steineschmeißenden palästinensischen Kindes Ausdruck verleihen. Er verzichtete bewusst auf eine direkte musikalische Umsetzung des Bildes. Rzewski 1975 geschriebenes Werk ist eine einstündige Variation des chilenischen Widerstandsliedes „El Pueblo Unido Jamas Sera Vencido!“
Das Aufladen der klassischen Form mit Melodien politischen Liedguts – Eislers „Solidaritätslied“ wird ebenfalls zitiert – kommt dem Verbalisieren politischer Anliegen sehr nahe. Allerdings war dieses Stück auch mit Abstand das älteste – und die Siebziger Jahre eine Zeit, in der das Verhältnis von Musik und Politik noch in sehr einfachen, direkten Kategorien gefasst wurde. Was die überaus interessante Tagung unter anderem klar gemacht hat: Dass die politischen und musikalischen Gewissheiten dieser Zeit unwiderruflich Vergangenheit sind.
Dieter Wiene
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