piwik no script img

Vom Beobachten des Beobachters

Ein Politologiestudent will alle Überwachungskameras in der Innenstadt kartografieren und ihre Standorte veröffentlichen. Doch die umstrittene Kameraflut beunruhigt nicht nur Camspotter, sie ist längst wissenschaftliches Forschungsobjekt geworden

von HENNING KRAUDZUN

Wenn Bartosz Penzek durch Berlins Einkaufsstraßen spaziert, interessieren ihn weniger die grell- bunten Schaufensterauslagen. Der Politologiestudent sucht eher die Fassaden der hingeklotzten Beton-Glas-Monstren nach winzigen schwarzen Punkten ab: Hinweise auf potenzielle Überwachungskameras. Dort, wo eigentlich kaum jemand hinschaut. Penzek fotografiert die meist unscheinbaren Geräte, notiert Standort, Blickrichtung, Kameratyp, eventuell den Hauseigentümer. Dann veröffentlicht er diese Daten auf seiner Webseite und zeichnet die Kameras als farbige Punkte auf einem Stadtplan ein. Für ihn ist es die Überwachung der Überwachung. Oder „eine Bewältigung der eigenen Big-Brother-Paranoia“.

Seit mehreren Jahren durchstreift Penzek Berlin auf der Suche nach elektronischen Spionen. Vor einigen Monaten ging seine Plattform online, die als Open-Source-Projekt zum Mitmachen animieren will. Mittlerweile schicken ihm auch andere „Camspotter“ Aufnahmen und Beschreibungen von Überwachungslinsen per Mail zu. Es ist Bewegung in das ehrgeizige Vorhaben gekommen, zumindest in der Innenstadt sämtliche Kameras zu kartografieren. Knapp 200 wurden schon auf der Webseite eingetragen. „Mich hat die hohe Kameradichte gestört, auch die Symbolkraft der Geräte“, erklärt Penzek. Obwohl sie offensichtliche Überwachungsmedien seien, sind die Bestimmungen für ihre Montage weniger einleuchtend.

Penzek meint das im Mai 2001 geänderte Bundesdatenschutzgesetz, das in Paragraf 6 b festschreibt, wer überhaupt öffentlich zugängliche Räume beobachten darf. Etwa der Eigentümer. Die „Wahrnehmung des Hausrechts“ wird wahrscheinlich jeder Hausbesitzer für sich in Anspruch nehmen. Zudem bringen diffuse Formulierungen, wie die „Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke“, wenig Durchblick in den Überwachungsdschungel. „Es ist so uneindeutig, dass jeder mit Objektschutz argumentieren und die Fassade mit Kameras schmücken kann“, beklagt Penzek.

Das Sicherheitsbedürfnis nach dem 11. September nahm zweifelsohne bisweilen groteske Formen an. „Der Rohbau des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße war gerade hochgezogen, da hingen auch schon Überwachungskameras – wie selbstverständlich“, erzählt Penzek. Passanten müssen laut Gesetz zwar auf Kameras hingewiesen werden. Doch das geschieht selten, etwa in Immobilien der Deutschen Bahn. „Bei Privateigentümern weiß man nie, ob die Aufnahmen in die Zentralen von Sicherheitsdiensten gesendet und dort gespeichert werden“, sagt der Video-Kartograf.

Mittlerweile interessieren sich nicht nur politisch engagierte Einzelkämpfer für das Thema, sondern auch die Forscher. So existiert an der Humboldt-Universität ein Lehrbereich Informatik und Gesellschaft, an dem mit Studien über die Observierung begonnen wurde. Peter Bittner, der dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt ist, beteiligte sich sogar mit Studenten an der Kamera-Kartografie. Auch sie trafen auf Misstrauen und Ablehnung, als sie Geschäftsleute und Hausbesitzer in der Turmstraße zu deren Kameras befragten. „Die Sache ist ja inzwischen technisch so weit pervertiert, dass wir kaum noch moderne Überwachungssysteme wahrnehmen können“, sagt Bittner. An vielen Ecken werde man „videografiert“, ohne je davon zu erfahren.

Mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt sich auch das Zentrum für Technik und Gesellschaft (ZTG) an der TU Berlin. Dort läuft seit einem Jahr „Urban Eye“, ein europäisches Großprojekt, das mit Geld aus Brüssel finanziert wird. In sieben Hauptstädten untersuchen Wissenschaftler die vielfältige Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Ziel ist eine Bestandsaufnahme für exponierte Orte. In Berlin befragten die Wissenschaftler bereits 120 Läden in der nördlichen Friedrichstraße. Der Abschlussbericht wird derzeit erarbeitet. „Fest steht, dass Sicherheitsdienste und Geschäftstreibende mit gesetzlichen Bestimmungen wenig anfangen können“, resümiert Eric Töpfer vom ZTG. Viele würden behaupten, dass es allein ihre Angelegenheit sei.

Weil sich noch zu viel in der gesetzlichen Grauzone bewegt, hat Bittner mit anderen Forschern rund um den Globus ein Forum der InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (Fiff) gegründet. Zudem hat sich ein bundesweiter Arbeitskreis gegen Videoüberwachung etabliert, der juristische und soziologische Fragen abklopfen will. Allein in Berlin gehören ihm knapp 80 Leute an, so auch Penzek, Bittner und Töpfer. Der Arbeitskreis will gegen die Wildwest-artige Observierung ankämpfen: „Objektschutz allein kann kein gültiges Argument mehr sein, wenn die ganze Straße im Sichtfeld der Kameras ist“, erklärt Töpfer. Überdies werde in das Grundrecht eingegriffen, wenn nicht klar ist, was mit dem Videomaterial passiert.

Mit dem Zauberwort Kriminalitätsbekämpfung finden jedoch Privatleute und Polizei großen Rückhalt in der Bevölkerung. Laut einer Emnid-Umfrage vom Mai 2001 befürworten 79 Prozent solche Maßnahmen. Allerdings ist die Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten in den meisten Bundesländern noch nicht in die Polizeigesetze eingegangen. Selbst in Berlin wurde diesbezüglich erst ein Antrag gestellt. Brandenburg lässt als erstes Bundesland ab Anfang nächsten Jahres die Auswirkungen des polizeiliches Videoschutzes, wie es offiziell heißt, wissenschaftlich untersuchen. In einer Langzeitstudie bis 2005 will man sämtliche Effekte der Überwachung analysieren.

„Unser Videoschutz ist Bürgerschutz“, betonte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) im Oktober. Eine Meinung, die nicht alle nachvollziehen können. So gibt es Menschen wie Bartosz Penzek, denen zu viel Schutz unheimlich wird. Die komplett überwachte Straßen meiden, um nicht an jeder Ecke gefilmt zu werden.

Infos im Netz: www.cctv-berlin.org, www.fiff.de, www.urbaneye.net, www.ak-videoueberwachung.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen