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Spagat bis nach Athen

Heute beginnt in Debrecen die Turn-WM. Den deutschen Athleten kann das weitgehend egal sein, sie turnen der Weltspitze ohnehin hinterher – und wollen sich deshalb ganz auf Olympia konzentrieren

aus Debrecen SANDRA SCHMIDT

Eher unbemerkt von der sportlichen Weltöffentlichkeit haben sich in Ungarn die Kunstturner versammelt, um ab heute Weltmeistertitel an den einzelnen Geräten zu vergeben. Über 350 Turnerinnen und Turner gehen in Debrecen an den Start, dennoch gilt die Veranstaltung eher als interessantes Intermezzo auf dem Weg zu den Welttitelkämpfen in Anaheim, USA, im nächsten August, denen als Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 in Athen eine weitaus größere Bedeutung zukommt.

Dem Deutschen Turner-Bund (DTB) dürfte dies nur recht sein, von Medaillenhoffnungen mag Andreas Hirsch, der neue Bundestrainer der Männer, gleich schon gar nichts hören. Offenbar ist man beim DTB nach einem allzu stürmischen Herbst froh, überhaupt sechs Turner zu haben, die in Debrecen antreten dürfen. Erst Ende September haben die sich nämlich öffentlich gegen die Konzepte der Verbandsspitze gewandt. Die hatte zuvor unter Federführung des Vizepräsidenten für Spitzensport, Eduard Friedrich, beschlossen, die 14 Athleten des Olympiakaders für Athen unverzüglich in zwei Stützpunkten in Stuttgart und Berlin zu konzentrieren. Ungeachtet der schlechten Erfahrungen mit solchen „Konzentrations-Konzepten“ in der Vergangenheit, sollte mit dieser Maßnahme der seit gut einem Jahrzehnt anhaltenden Abstieg des deutschen Kunstturnens aufgehalten werden; ein 13. Rang bei der letzten Weltmeisterschaft lässt ahnen, dass mittlerweile gar die Qualifikation für die olympischen Wettbewerbe auf der Kippe steht.

„Nichts ist der Leistung zuträglicher, als die besten Leute aufeinander zu hetzen – und zwar Tag für Tag“, erklärte der als „Schleifer-Eddy“ bekannte DTB-Vize sein Konzentrations-Konzept. Doch die Sportler verweigerten sich diesem – und Bundestrainer Rainer Hanschke nahm angesichts dessen seinen Hut. Eduard Friedrich hingegen, erst seit November 2000 im Amt, fand letztlich zwar verträglichere Formulierungen für sein Vorhaben, aber doch keine Zustimmung. Schließlich legte DTB-Präsident Rainer Brechtken ihm den Rücktritt nahe und übernahm selbst das Referat Spitzensport, als Bundestrainer wurde kurzerhand Andreas Hirsch eingesetzt, der bislang für die Junioren zuständig war, und sich nun erst mal um „neue Motivationen“ bei seinen Athleten kümmern muss.

Bei den deutschen Turnerinnen scheint die Lage weniger angespannt, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass sie seit 1992 von der olympischen Bühne verschwunden sind und von internationaler Konkurrenzfähigkeit nur in Ausnahmefällen die Rede sein kann. In Ungarn werden, erstmals unter der Leitung von Gert-Peter Brüggemann, aus Verletzungsgründen mit Yvonne Musik, Daria Bijak und Katja Abel nur drei Turnerinnen an den Start gehen. Auch auf die eigene Tochter Lisa, zuletzt von Rückenproblemen und Pfeifferschem Drüsenfieber geplagt, muss der Professor der Kölner Sporthochschule verzichten. Pikant daran ist, dass der ambitionierte Trainer bis vor kurzem mit einer groß angelegten Studie zu „Risiken und Belastungen im Kunstturnen“ beschäftigt war.

Bei solch negativen Vorzeichen erhofft sich beim DTB wohl kaum jemand mehr als zwei Halbfinalplätze, auch bei den Frauen sind die Pläne eher langfristig ausgerichtet. Petra Theiss, die verantwortliche Teamchefin, setzt ebenfalls auf das Konzept der Zentralisierung: Die noch schulpflichtigen Turnerinnen sollen ab Januar jeweils zwei Wochen in Köln trainieren und wohnen und dann eine Woche zu Hause zur Schule gehen, „bei weitgehender Abklärung der schulischen und sozialen Belange“, wie Theiss es in einer Stellungnahme formulierte.

Bei Heimtrainern, Eltern und den zum Teil erst 14-jährigen Mädchen bestehen indes Zweifel, ob sich dieses „persönliche Opfer“ lohnt. Und das nicht nur, weil derzeit nur kühnste Träumer mit der Qualifikation für Olympia rechnen, sondern auch, weil die Bedingungen in Köln keineswegs optimal scheinen. Die Auftritte der deutschen Turner in Debrecen werden dementsprechend als „Standortbestimmungen“ gesehen. Das Motto des DTB ist nicht zum ersten Mal: In Zukunft wird alles besser.

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