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die jazzkolumneÜber Respekt und Neid im Jazz

Wut eines Kritikers

Die Respektlosigkeit lauert überall. Auch der Jazz ist da keine idyllische Musterinsel, auf der allein Können, Spontaneität und Improvisation zählen. So spricht Michael Naura in seinem neuen Buch „Cadenza“ nur noch vom „Rassisten“ Archie Shepp. Nach langjähriger und durchaus verdienstvoller ARD-Tätigkeit für den Jazz scheint dieser Zeit-Autor, nun selbst im Rentenstand, auch angekommen zu sein im Niemandsland der Neider und Bedrückten. Dass Archie Shepp wie John Coltrane spiele und den Blues singe wie einst John Lee Hooker, das schrieb hingegen Wolfgang Sandner kürzlich in der FAZ.

Ein Widerspruch? Oh ja. Für Naura ist Archie Shepp als Protagonist einer Kultur problematisch, die sich ganz offenbar gegen Verwässerung und Fremdbestimmung abschottet. Ratschläge der Weißen sind nicht willkommen. Mehr noch: „Ich bin ein schwarzer Mann und spiele Black Music“, sagt Shepp, „und ich glaube nicht, dass meine Musik von Weißen beurteilt werden kann. Denn meine Erfahrungen unterscheiden sich grundlegend von denen der meisten Weißen. Im Jahr, als ich geboren wurde, ist in meiner Stadt ein Mann gelyncht worden, sie hängten ihn. Mein Großonkel balsamierte den Mann ein. Warum sind die so genannten Jazzkritiker meist Weiße? Aus dem gleichen Grund, aus dem ich Platten aufnehme für weiße Plattenproduzenten. Die ganze Industrie ist von Weißen kontrolliert. In dieser Hinsicht bin ich ein Opfer.“

Da Naura die politische Komponente fehlt, nimmt er Shepp lediglich als schwarzen Rassisten wahr. Wynton Marsalis sagt, genau solche Kritikertypen outen sich früher oder später in der Rolle der Ausgenutzten und Getäuschten. Weil sie sich selbst nicht recht respektiert fühlen, weil die schwarzen Musiker sich nicht bei ihnen bedanken, dafür, dass sie sie ein Leben lang auf ihren Bühnen, Titelseiten und Radiofeatures präsentiert haben. Oder sei es einfach nur deshalb, weil sie ihre Illusion verloren.

Aus Nauras Sicht hätte die Globalisierung des Jazz bedeuten müssen, dass auch deutsche und andere europäische Musiker endlich mal den amerikanischen Markt erreichen und das Einbahnstraßendenken des US-amerikanischen Jazz-Business aufhört, die deutsche Jazzfestivals gern als großen Selbstbedienungsladen betrachten. Wie verbittert muss man aber sein, um ausgerechnet die zwei, drei afroamerikanischen Musiker, die man hier kennt, zur Projektionsfläche einer Kritik zu machen, welche die Briefkästen der US-Jazz-Mafia gar nicht erreicht.

Man wird nicht beleidigt, aber man wird auch nicht beachtet, man wird nicht als ein Mensch angesehen, dessen Anwesenheit etwas zählt, schreibt Richard Sennett in seinem neuen Buch „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“. In einem sensiblen Gestrüpp zwischen Anerkennung, Würde und Status wartet der Respekt auf seinen Einsatz. Speziell für die Schwarzen in den USA ist sozialer Respekt historisch immer äußerst knapp gewesen. Ob nun in Ralph Ellisons Roman „Invisible Man“ oder in „Acknowledgement“ aus John Coltrane „A Love Supreme“ – es geht, und zwar bis heute, immer wieder um Strategien der Verweigerung und Selbstbehauptung in Zeiten größten Respekt-Mangels. Doch warum posiert ein ausgewiesener Jazz-Profi wie Naura ausgerechnet in der Rolle eines postkolonialen Sklavenhalters? Wozu die vielen Ausdrücke, mit denen er um sich schmeißt? Michael Nauras „Cadenza“ ist auch ein Buch des Scheiterns.

Als der Jazzpublizist und Produzent Joachim-Ernst Berendt – er erfand 1964 die Berliner Jazztage – vor drei Jahren starb, diktierte Naura dem Berliner Tagesspiegel einen Nachruf, in dem stand, dass Berendt nicht brillant geschrieben habe und auch sonst eher ein „Trommler“ gewesen sei, der von musikalischer Theorie nichts wusste. Das deutete schon an, wie tief die Verletzungen auf Seiten des Autors pressieren. Naura selbst hingegen lässt keine Gelegenheit aus, Zeitzeugen vorzuführen, die sich über seine eigene Musikalität und sein einstiges pianistisches Können wohlwollend äußern. Doch seine Hände sind schwer geworden im Laufe der Jahre, manchmal liegen sie einfach nur noch auf den Tasten rum, zu müde, einen langsamen Blues zu spielen.

Klar ist, dass Berendt, der so vehement Widerstand einklagte, selbst keinen Widerspruch duldete. In „Cadenza“ findet sich aber nun nicht der unselige Grabgesang Nauras, sondern der Nachdruck eines persönlichen Briefes aus dem Jahre 1994, den Berendt an Naura schrieb und der ein Licht wirft auf das raue Klima, das bis vor kurzem durch die ARD-Jazz-Stuben wehte, wenn der Name Berendt fiel.

Der Intendant der Berliner Festspiele, Joachim Sartorius, sagte kürzlich schlecht gelaunt und sichtlich angeschlagen, dass er allein den künstlerischen Leiter des Berliner JazzFests berufe. Dennoch: Bestätigt ist, dass das ARD-Gremium unter Leitung von Naura 1995 die Einsetzung von Albert Mangelsdorff als künstlerischer Leiter des Berliner JazzFests wollte und bewirkte. Nach zwei eher experimentellen JazzFest-Jahren konnte sich die ARD gerade wieder durchsetzen. Das Projekt Strukturveränderung und Leitungsverjüngung ist zunächst gescheitert, das JazzFest bleibt ein kulturpolitisches Phänomen. Die Autonomie der Akteure verdiente Respekt – wenn sie doch nur verifizierbar wäre. CHRISTIAN BROECKING

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