Held, Biene, Erektion

So groß die Herausforderung Aids ist, so unterschiedlich sind die Aufklärungsplakate gegen die Immunschwächekrankheit. Eine Ausstellung in Zürich zeigt einen internationalen Querschnitt

von REINHARD KRAUSE

Der Plakathimmel strahlt tiefblau, wie es eines Helden würdig ist. Und der Held selbst strahlt nicht minder, den Mund zu einem zukunftsfrohen Lachen geöffnet. Hinter ihm ragen gewaltige Kräne auf – oder ist es das Gerüst für eine Raketenbasis?

So sahen früher die Helden der Arbeit aus, die von sowjetischen Propagandaplakaten herunter lachten. Doch der junge Arbeiter streckt keine Sonnenblume in den wolkenlosen Himmel oder gar eine rote Fahne, nein, seine Faust reckt stolz ein eingeschweißtes Kondom. „Halte dich an die Technik für sicheren Sex!“, steht auf Russisch oben auf dem Plakat. Und unten: „Verwende Präservative“.

Das souverän mit dem sozialistischen Agitprop-Erbe spielende russische Aids-Aufklärungsplakat aus dem Jahr 2000 ist einer der Glanzpunkte der ebenso unterhaltsamen wie spannenden Ausstellung „Visuelle Strategien gegen Aids. Internationale Aids-Präventionsplakate“ in der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung Zürich. „Unser Interesse“, heißt es im Vorwort zum Katalogband (Verlag Lars Müller, 94 Seiten, 23 Euro), „galt weniger dem praktischen Ziel der Aids-Aufklärung als der Frage, wie ihr Gegenstand rhetorisch durchdrungen wird.“ Entsprechend wurden nur solche Plakate ausgewählt, die „von staatlichen und anderen Stellen offiziellen Charakters in Auftrag gegeben wurden“.

Tatsächlich stellt die Immunschwächekrankheit auch zwanzig Jahre nach ihrer Entdeckung die Gesundheitsbehörden aller Länder vor dieselbe heikle Aufgabe: Wie lässt sich im Tabubereich von Sexualität, Krankheit und Tod möglichst effektiv über Infektionswege und Präventionsmethoden aufklären, ohne gesellschaftliche Konventionen zu verletzen?

Ein tunesisches Plakat, ebenfalls aus dem Jahr 2000, thematisiert wunderbar gewitzt den Eiertanz um sexuelle Aufklärung und gesellschaftliche Tabus. „Stelle Fragen!“, heißt es zur Illustration einer Honigbiene mit Menschenaugen, die auf einer blassrosa Blume sitzt. „ … damit dir jemand antworten kann.“ Die globale Schamhaftigkeit hat offenbar überall auf der Welt dieselben Blüten getrieben – mit verklemmten Aufklärungsgesprächen, in denen Bienen Pflanzen bestäuben und die Vorgänge im Menschenreich der kindlichen Analogiefähigkeit überlassen bleiben.

Mit kindischen Vorstellungen von Blümchensex jedoch, so die unausgesprochene Botschaft der Illustration, kommen wir in Sachen Aidsbekämpfung nicht weiter. Zugleich wird deutlich, dass das tunesische „Nationalbüro für Familie und Bevölkerung“ als Auftraggeber des Plakats nicht die Initiative zur Aufklärung ergreift (wohl auch nicht ergreifen darf), sondern nur für Beratung zur Verfügung steht.

Dass Aids-Aufklärung in Wort und Bild auch drastischer geht, dafür liefern in Buch und Ausstellung vor allem die deutschsprachigen Länder den Beweis: Die Aids-Hilfe Schweiz zeigte 1993 einen grau melierten Geschäftsmann im Anzug und legte ihm die Aussage in den Mund: „Ich war keiner Frau ewig treu. Aber dem Präservativ schon.“ Keine romantische Botschaft, aber rechtschaffen realistisch. Die deutsche Aids-Hilfe zeigte im selben Jahr schwule Paare beim Safer Sex, und die Kollegen aus der Steiermark wagten es, ebenfalls 1993, unter dem Motto „Celebrate. Stop Aids“ einen erigierten Penis zur Schau zu stellen. Sex ja, aber nur mit Gummi. Oder, so der Umkehrschluss, den drei hoch amüsierte Frauen auf einem Plakat aus Sambia (2000) propagieren: „No condom, NO SEX“.

Die Plakate, heißt es in einem begleitenden Essay, werden mit zunehmendem Bildungsstand und voraussetzbarem Informationsgrad der Zielgruppe nicht komplexer, sondern schlichter. Auch die Textlastigkeit nimmt entsprechend ab. Zu komprimiert allerdings dürfen die Inhalte auch nicht umgesetzt werden. Ein schweizerisches Plakat aus dem Jahr 1990 etwa zeigt vor grünem Grund ein Tablett mit drei Gläsern. Oberhalb der Darstellung steht „Gläser tauschen“ und zwischen den Gläsern „Kein Aids-Risiko“. Ob das Motiv der Warnung oder im Gegenteil der Entwarnung dienen soll, erschließt sich einzig über die grüne Hintergrundfarbe. Wenig wahrscheinlich, dass diese Übertragungsleistung funktioniert.

Vor allem Länder mit niedrigem Alphabetisierungsgrad sind auf bildhafte Darstellungen der Infektionsgefahren angewiesen. Da explizit sexuelle Darstellungen naheliegenderweise nicht in Frage kommen, fallen die Ergebnisse meist nicht sehr komplex aus. Trotzdem ist die Zahl der Plakate, auf denen die Aidsgefahr mit Totenschädeln und Skeletten dargestellt wird oder, wie in einem Beispiel aus Marokko, als bedrohlich züngelnde Giftschlange, erstaunlich gering.

Ein indisches Plakat der Unesco (1995) stellt die Infektionswege sehr verkürzt auf gezeichneten Tableaus dar, die den Text illustrieren: „Mehrere Partner – führen zu Aids. Ein Lebenspartner – führt zu Familienzuwachs.“ Der Mann auf den Bildern ist jeweils derselbe. Er hat also die Wahl: medikamentös begleitetes Siechtum oder Familienglück.

Das nur bedingt realitätstaugliche Idyll von der geschlossenen Familie als alleinigem Garanten gegen eine Infektion wird jedoch nicht nur in Entwicklungs- oder Schwellenländern bemüht. Ein US-Plakat in spanischer Sprache, 1992 vom Gesundheitsdienst in Houston herausgegeben, zeigt ein stilisiertes junges Paar mit Baby und den verblüffend uninformativen Text: „Für Sie, Ihre Familie und Ihre Zukunft“. Geradezu haarsträubend ist ein weiteres indisches Unesco-Plakat aus dem Jahr 1995. Es zeigt einen Händler mit Ochsenkarren, der einer Mutter am Wegesrand Waren verkauft. Der Text dazu lautet: „Geh ins Ausland, um Geld zu verdienen, und komm bald zurück. Meide dort die Frauen, bring kein Aids mit.“

Da lobt man sich die „Aboriginal Workers of Australia“ in Queensland, die 1994 ein indigenes, aber keineswegs indigniertes Rollenmodell namens Condoman kreierten: „Condoman sagt: ‚Schäm dich nicht, mach’s mit.‘ Benutz Kondome!“ Recht hat er.

REINHARD KRAUSE, Jahrgang 1961, ist taz.mag-Redakteur. Die Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich ist noch bis zum 24. Januar 2003 zu sehen