piwik no script img

Das Leben ist eine Baustelle

- die Schule an der Hamburger Straße sowieso. Aber die Schule schlägt zurück: Sie bindet in ihre Achse des Bösen sogar Schläfer-Fahrräder ein und nutzt schamlos das Harry Potter-Wissen der SchülerInnen aus

Das neue Jahrtausend ist geprägt von Rachefeldzügen: Nicht nur das Imperium oder die Natur, nein, jetzt bedroht etwas die westliche Welt, gegen das uns nicht einmal Otto Schily Kataloge oder ARD-Spendengalen helfen können. Die Schule an der Hamburgerstraße schlägt zurück. Jahrelang gemieden, beschimpft und verspottet, lässt sie uns jetzt ihre ganze Härte spüren.

Ihr Hass richtet sich in erster Linie gegen junge, neugierige Geschöpfe, die Wissen und Rat in ihr suchen und gegen Pädagogen, die sich so aufrichtig darum bemühen diesen Wissensdurst zu stillen. Die Schule führt einen aggressiven Kampf mit all ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie bedient sich psychologischer Kriegsführung, um den Willen der oben Genannten zu brechen.

Ihr erster Schritt war, die elektrischen Leitungen zu kappen und so alle Verbindungen zur Außenwelt zu unterbrechen. Die armen Schüler saßen nun morgens im Dunkeln auf ihren Stühlen, während ihr Lehrkörper verzweifelt und am Rande des Wahnsinns den Lichtschalter betätigte; die Hoffnung auf elektrisches Licht starb zuletzt. Dazu drang ein Hämmern und Sägen, das an ein dämonisches Lachen erinnerte, durch die düsteren Flure und Zimmer.

Die Institution instrumentalisierte ihre Schadenfreude und setzte sie als unmenschliche Waffe ein. Stufe B ihres perfiden Plans wurde eingeleitet: Sie erzeugte einen so starken Lärm, dass etwas passierte, das so noch nie da gewesen war und sofort Entsetzen auslöste: Die Schüler verstanden nicht mehr, was der Lehrer sagte!!! Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit machte sich breit.

Doch die Menschen innerhalb der Schulmauern zeigten ihr noch lange nicht das gelblich wirkende, schmutzige Laken aus dem darstellendes Spiel-Fundus. Die Mutigsten versammelten sich mit dem Auftrag, entweder die Fenster zu schließen oder niemals mehr zurückzukehren. Nach erfolgreich ausgeführter Mission kehrten sie als Helden zurück. Nun dachte man, die Gefahr durch den Lärm und die Schule gebannt zu haben.

Oh, wie wütete die Hamburger nach diesem Rückschlag. Doch mit dem Gedanken, dass die Belegschaft nur die Schlacht und nicht den Krieg gewonnen hätte, fing sie an zu rumoren und schickte schrecklichen Laute, die sich nach Presslufthämmern anhörten, durch Rohre, Leitungen und Beton an jedes Ohr. Sie kramte in ihrem Gedächtnis und ließ mit Hilfe ihres Harry Potter Wissens, das sie sich durch zahlreiche Gespräche der Schüler untereinander angeeignet hatte, die sowieso schon mit Anthrax – oder war es Asbest? – vergifteten Zimmerdecken verschwinden. Nun hospitierte während der Unterrichtstunden ihr Kollaborateur, der Schall, und verschluckte den Unterrichtsstoff schneller als die Schüler Pisa buchstabieren konnten.

Die Menschen außerhalb bekundeten ihre Solidarität und schickten Bauarbeiter, um dem Lärm und der Selbstzerstörung der Schule ein Ende zu bereiten. Aber niemand hatte damit gerechnet, dass sie im Besitz von Massenvernichtungswaffen war. Schon bald flogen Dachziegel, bildeten sich Treibsandflecken und wurde die Pausenhalle zerstört. Ziel dieser Anschläge war es, die Schüler zu erschlagen, zu ersticken und erfrieren zu lassen. All unsere Hoffnung ruhte in diesen Tagen auf den Bauarbeitern, die in einem Akt der Selbstaufopferung sogar ein Gerüst um die Schule errichteten und versuchten, sie mit zerrissenen rot, weiß, grünen Planen einzuschüchtern. Es könnte natürlich auch nur eine Hommage an das italienische Eiscafe auf der anderen Straßenseite gewesen sein. Doch die Top-Secret Agentenmethoden der Arbeiter sollte man besser nicht hinterfragen.

Obwohl sie sehr koordiniert arbeiten und augenscheinlich alles wie geplant verläuft, ist es bisher nicht gelungen, die Hamburger aufzuhalten. Mittlerweile hat es sogar ein erstes Opfer gegeben. Die arme Frau ahnte nichts Böses, als sie an der sich harmlos stellenden Schule vorbeischlenderte. Doch natürlich wusste sie auch nichts von der Achse des Bösen, die die Schule mit den auf dem Gehweg geparkten Fahrrädern gebildet hatte. Im Rahmen eines feigen Luftangriffs fiel der Drahtesel über die Zivilistin her und verletzte sie schwer. Zum Glück bleibt es bisher bei diesem einen Kolalateralschaden, denn die Bürokratie reagierte wie gewohnt schnell und verbot den Gehweg als Aufenthaltsort für Fahrräder. „Hier dürfen nur Fußgänger stehen“, war die neue Parole.

Doch was, wenn die Anschläge auf Leib und Leben nur ein verzweifelter Hilferuf sind. Ein Akt der Selbstzerstörung hinweisend auf das Verlangen nach Liebe und Anerkennung. Oder was wäre, wenn die Schule an der Hamburger Straße einfach nur renoviert werden möchte und in dem Wissen, dass der Geist des Bildungssenators zwar willig, aber das Geld rar ist, sich selbst aufgerissen hat, um die gute Tat zu erzwingen?

Wir müssen wohl erkennen, dass diese Schulbaustelle uns das Leben nicht schwerer macht, sondern vielmehr zu unser aller Wohl beiträgt. Also lehnen wir uns in den kalten, aufgrund abgestellter Heizung, dunklen, aufgrund abgestellter Elektrizität, Schulräumen zurück und genießen den Baulärm. Und wenn einer der fleißigen Bauarbeiter- Bienchen auf dem Gerüst vorbeischlendert, hebt die Hand und winkt ihm zu, denn es ist sein Verdienst, dass die Schule wieder Spaß macht. Sarah Kamp

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen