Nicht populär, aber ein geschickter Taktierer

Der alte und designierte neue österreichische Bundeskanzler, Wolfgang Schüssel (ÖVP), macht sich in der Politik keine Freunde

WIEN taz ■ Wolfgang Schüssel stellt sich gern als Fels in der Brandung, als Garanten von Stabilität und Kontinuität dar. Für den Rechtspopulisten Jörg Haider, der den ÖVP-Chef einst zum Kanzler Österreichs machte, ist er ein „eiskalter Spieler“ und ein Verräter.

Tatsächlich hat er einiges von einem Spieler. Denn bis zu seinem überraschend deutlichen Sieg bei den gestrigen Nationalratswahlen hatte er seine Erfolge nicht durch Stimmenzuwachs bei Wahlen, sondern durch geschicktes Taktieren am Verhandlungstisch erreicht. Als Kandidat der drittstärksten Partei, die das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hatte, wurde er 1999 Kanzler. Und obwohl seine persönlichen Beliebtheitswerte während der zweieinhalbjährigen Regierungszeit äußerst bescheiden blieben, setzte er nach dem Rücktritt von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) alles auf eine Karte.

Unter Verletzung der Koalitionsvereinbarung setzte er im Alleingang Neuwahlen an und warf sich in einen Wahlkampf, in dem von vornherein klar war, dass er nur Chancen haben würde, Kanzler zu bleiben, wenn er die ÖVP zu stärksten Partei machte.

Dabei bewies er jene Beharrlichkeit und Konsequenz, die ihn sein ganzes Leben ausgezeichnet hatte. Schüssel kommt zwar aus dem Wiener Nobelbezirk Hietzing, doch keineswegs aus großbürgerlichem Haus. Seine Mutter war Handarbeitslehrerin. Der Vater, ein Sportjournalist mit brauner Vergangenheit, machte sich bald aus dem Staub.

Nur dank der Beharrlichkeit der Mutter und der Fürsprache eines Priesters fand Wolfgang Schüssel Aufnahme am elitären Schottengymnasium. Schon damals war er ein gefürchteter Fußballer mit großer Neigung zum taktischen Foul. Von der katholischen Schule zur christlichsozialen ÖVP war es kein weiter Weg. Schüssel gehörte damals der so genannten Jazzmessen-Fraktion an, dem jungen liberalen Flügel der ÖVP. Sein Aufstieg kostete ihn einige Freunde.

„Seine Fähigkeit zur Loyalität ist nicht sehr ausgeprägt. Er instrumentalisiert Leute gern.“ So ein Weggenosse, der in den Medien anonym zitiert wird. Zu den Opfern gehören Erhard Busek, Schüssels Vorgänger als Parteiobmann, aber auch Fraktionschef Andreas Khol, dem Schüssel im Jahr 2000 schon den Innenministerposten versprochen hatte. Er zog dann Ernst Strasser vor, einen Protegé des mächtigen Landeshauptmanns von Niederösterreich, Erwin Pröll.

So beherrscht Schüssel in der Öffentlichkeit meist wirkt, so cholerisch zeigt er sich abseits der Kameras. Bei Sitzungen soll er oft wütend auf den Tisch hauen und mit Kraftausdrücken um sich werfen. Journalisten erinnern sich noch an ein Frühstück in Amsterdam, wo er – „off the record“ – den deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer als „richtige Sau“ bezeichnet haben soll. Das Zitat wurde zwar nie offiziell bestätigt, aber Schüssel reiste nach Frankfurt, um sich zu entschuldigen.

Mitarbeiter, die nicht schnell genug mitdenken, lässt er oft seine Arroganz spüren. Viele bewundern seine Intelligenz und Zähigkeit, aber wenige finden ihn sympathisch. Er verströmt die Aura eines rechthaberischen und egozentrischen Klassenprimus, der den Nachbarn nicht abschreiben lässt.

Deswegen mussten die Spin-Doktoren im jüngsten Wahlkampf den unnahbaren 57-Jährigen in Blitzeseile in ein menschliches Wesen zum Anfassen verwandeln. Schüssel wurde am Cello plakatiert, griff bei Veranstaltungen immer wieder in die Klaviertasten und hinterließ in Gästebüchern eine seiner Karikaturen.

Seine Ruhe findet Schüssel nach eigener Aussage in seinem „mentalen Hinterland“, der Wohnung in Wien-Hietzing mit Ehefrau Gigi, die in der Öffentlichkeit selten in Erscheinung tritt. Wohl auch deswegen, weil sie die Koalition mit der FPÖ nicht goutiert haben soll.

Einmal im Jahr zieht sich der Berufspolitiker in ein Benediktinerkloster in der Steiermark zurück, wo er vierzehn Tage von allem Weltlichen abgeschirmt wird. RALF LEONHARD