: Gegenwind aus Berlin
Die Rot-Grüne Bundesregierung macht es ihren wahlkämpfenden Parteifreunden in den Ländern schwer. Die wollen in Bremen nach der Bürgerschaftswahl trotzdem zusammengehen, aber lieber noch nicht so laut drüber reden
Sie entdecken täglich neue Haushaltslöcher. Sie tun allen weh, aber grundlegende Reformen bleiben liegen. Sie schnattern kreuz und quer durcheinander. Die Berliner Koalition setzt wenige Wochen nach der Wahl alles daran, Rot-Grün als Auslaufmodell zu präsentieren. In den Ländern, die als nächste an die Urnen bitten, wendet man sich mit Grausen ab. Hessens SPD hat sich schon aufgegeben, Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel geht vorsichtig auf Distanz zum Kippel-Kanzler, um im Februar seinen Job zu retten. Drei Monate später ist Bremen dran. Was bringt die Bürgerschaftswahl im Mai?
Eine rot-grüne Mehrheit, das ist so gut wie sicher, trotz allem. Die fulminanten 63 Prozent von der Bundestagswahl werden SPD und Grüne zwar ebenso sicher verfehlen, aber selbst das desolate Grünen-Ergebnis von 1999 (8,9 Prozent) hätte rechnerisch locker gereicht: Zusammen waren es 51,5 Prozent. Rechnerisch. Dass es dann doch anders kam, lag an Henning Scherf. Der nach wie vor unangefochtene Spitzenkandidat hatte so viel Geschmack am Regieren mit der CDU gefunden, dass er gegen heftigen Widerstand in der Partei eine Verlängerung durchsetzte. Auch für die kommende Wahl lässt Scherf keinen Zweifel daran, dass er nur in einer großen Koalition die Chance zu einer Sanierung des Landes sieht – auch wenn er nach der Bundestagswahl verkündete, es sei „kühn, Rot-Grün auszuschließen“.
Diese Sprachregelung ist Ergebnis eines Stillhalteabkommens zwischen Scherf und der Partei: Die Phantasieparole von der „eigenen Mehrheit“ wurde ausgegeben. Der Chef macht keinen Wahlkampf für die große Koalition, die Partei nimmt das Wort Rot-Grün nicht in den Mund. Dabei ist in der SPD ebenso wie in der Fraktion die Stimmung gekippt: Die Großkoalitionäre sind marginalisiert. Für das Erreichen eines aussichtsreichen Listenplatzes soll eine rot-grüne Präferenz durchaus förderlich sein, ist zu hören. Es wird also darauf ankommen, ob sich die Partei in der Wahlnacht vom Übervater Scherf emanzipiert. Dabei könnte ein zweistelliges Grünen-Ergebnis eine gute Argumentationshilfe sein. Die programmatische Übereinstimmung zwischen beiden Parteien ist – bis auf die allerdings zentrale Finanzpolitik – längst erdrückend. Das machte die SPD in der letzten Woche deutlich, als sie – gegen Scherfs Parole „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ – in ihr 100-Millionen-Euro-Programm für die Stärkung der Stadtteile explizit die grüne Lieblingsforderung nach Verbesserung der Lebensqualität aufnahm. Die Grünen können das schon fast als „Wildern“ in ihrem Revier verstehen.
Dabei sind sie derzeit um optische Distanz zur SPD bemüht: Ein Blick auf die vergangene „Sonntagsfrage“ zeigt ihnen nämlich, dass bundesweit nur die SPD unter der schlechten Stimmung in Berlin leidet. Die Grünen legten dagegen bei allen großen Instituten sogar noch zu. Parteichef Klaus Möhle hat schon Konsequenzen gezogen: „Wenn die in Berlin Murks machen, wie etwa bei der Erhöhung der Sozialabgaben, müssen wir das auch so benennen – in kritischer Distanz zu den eigenen Leuten.“ Das heißt allerdings nicht, dass sich die Bremer den radikalliberalen Sparkommissaren in der Berliner Fraktion anschließen – sozusagen die SPD-Antipoden im Regierungsbündnis. „Hier in Bremen gibt es nicht mehr diese Spielräume wie im Bundeshaushalt“, heißt es aus der Fraktion. Dennoch würde man auch hier mehr auf die Ausgabenkontrolle drängen als die SPD, etwa die Investitionen leicht herunterfahren. „Aber als Wahlkampfschlager taugt das nicht.“ Als infam weisen die Grünen Gerüchte zurück, sie wollten den aus dem Bundestag gekegelten grünen Oberliberalo Oswald Metzger nach Bremen holen. „Das ist ein Manöver aus dem Rathaus“, sagt einer, „damit wollen die sagen: Das sind alles Flaschen, die können’s nicht.“ Auch wenn nichts dran ist – inhaltlich würde die Personalie zur Empfehlung des Politologen Lothar Probst passen. Die Grünen sollten sich als liberales Korrektiv der SPD präsentieren, rät der Parteienforscher von der Uni Bremen: „Da ist ein Stück Bewegung in Richtung Bundespartei nötig.“
Eine breite rot-grüne Mehrheit hält Probst für schwierig: „Die Bundesregierung wird die echten Grausamkeiten erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen auspacken“, vermutet er, „und dann wird es ganz schwer.“ Dann könnte sich „1999“ wiederholen, als die neue Bundesregierung von Panne zu Panne stolperte und die Grünen in die Kosovo-Falle tappten – pünktlich zur Bürgerschaftswahl. Jan Kahlcke
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