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Konter der Streithähne

Charité stellt Expertenvorschläge zur Unimedizin mit Wirtschaftsgutachten in Frage – und streitet intern über Auswirkungen. Parlamentarier fordern Urlaub für umstrittenen Verwaltungschef

von SABINE AM ORDE

In der Charité spitzt sich der Widerstand gegen das Guachten der Expertenkommission zur Hochschulmedizin zu. Und dabei hat das Klinikum der Humboldt-Universität (HU) jetzt Rückendeckung von den Unternehmensberatern Ernst & Young bekommen. Die Überprüfung des Gutachtens, die die Charité bei Ernst & Young in Auftrag gegeben hat und die jetzt vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass die anvisierte Einsparsumme von 98 Millionen Euro mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zu erreichen sei. Denn diese könnten Folgekosten von bis zu 3,5 Milliarden Euro nach sich ziehen. Das sagte gestern der Verwaltungsdirektor der Charité, Bernhard Motzkus, der taz.

Diese Einschätzung ist in der Charité allerdings umstritten. Manfred Dietel, der ärztliche Direktor, geht nach Lektüre des Ernst-&-Young-Papiers von maximalen Folgekosten zwischen 200 und 500 Millionen Euro aus. Während nach den Berechnungen von Dietel frühestens ab 2013 gespart wird, ist das bei Motzkus erst ab 2042 der Fall.

Einig sind sich die beiden Klinikchefs in der Konsequenz: Die Vorschäge der Expertenkommission dürfen ihrer Ansicht nach nicht umgesetzt werden. „Die einzelnen Empfehlungen und Strukturveränderungen sind nicht ausgereift“, sagte Dietel. Und Motzkus malte „einen Skandal ähnlich dem um die Bankgesellschaft“ an die Wand. Beide waren gestern, wie auch Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) sowie die Vertreter des Uniklinikums Benjamin Franklin, zur Anhörung beim Wissenschaftsrat in Köln. Der will bis Ende Januar eine Stellungnahme zum Gutachten abgeben, dessen Umsetzung der rot-rote Senat – nach einer Prüfung der betriebswirtschaftlichen Auswirkungen – auf den Weg bringen will.

Unumstritten ist, dass durch Zusammenlegungen, Umzüge oder Schließungen von einzelnen medizinischen Bereichen Folgekosten auf das Land zukommen. Dafür muss neu gebaut, umgebaut und umgezogen werden – und das kostet Geld. Anders als Verwaltungschef Motzkus will der ärztliche Direktor aber jene Kosten nicht mitrechnen, die sich aus den im Gutachten vorgeschlagenen Bettenreduzierungen ergeben. Denn die Betten werden vor allem von den Krankenkassen finanziert, im Gutachten geht es aber um Einsparungen für das Land, das seine Zuschüsse für Forschung und Lehre um jährlich 98 Millionen Euro reduzieren will. Außerdem, so Dietel weiter, komme die Bettenreduzierung durch die Einführung eines neuen Abrechnungssystems in den Kliniken sowieso – egal ob das Gutachten umgesetzt wird oder nicht.

Ein weiterer Streitpunkt in der Charité sind die Kosten, die sich aus einem möglichen Verlust des Universitätsstatus für das Virchow-Klinikum in Wedding ergeben. Dies sei im Gutachten nicht festgeschrieben und könne daher nicht eingerechnet werden, argumentiert Dietel. Laut Motzkus müssten dagegen alle Risiken einbezogen werden.

SPD, PDS und Grüne wollen Motzkus ablösen

Wie lange der Charité-Verwaltungsdirektor allerdings noch gegen die Pläne des rot-roten Senats polemisieren kann, ist offen. Denn Motzkus, der als der große Strippenzieher in der Berliner Hochschulmedizin mit guten Kontakten in die Politik gilt, scheint den Bogen überspannt zu haben. SPD, PDS und Grüne wollen den Verwaltungschef seines Amtes entheben. In einem gemeinsamen Brief haben der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Christian Gaebler, und die wissenschaftspolitischen Sprecher von PDS und Grünen, Benjamin Hoff und Lisa Paus, den Wissenschaftssenator aufgefordert, den Klinikmanager zu beurlauben. „Die Art und Weise, in der Herr Motzkus Abgeordnete, den Präsidenten des Rechnungshofs und andere beschimpft, belehrt, maßregelt und bedroht, kann nicht mehr länger akzeptiert werden“, heißt es in dem Schreiben.

Gaebler, Hoff und Paus sind Mitglieder der Finanz- und Wirtschaftskommission der Charité. Dieses Aufsichtsgremium hat sich in nichtöffentlicher Sitzung unter Ausschluss von Bernhard Motzkus mit dessen umstrittenen Nebentätigkeiten beschäftigt. Anschließend hatte der Klinikmanager die Aktivitäten des Ausschusses in Briefen unter anderem als „vorsätzlich rufschädigend“ und „teilweise abartig“ bezeichnet. In den nächsten Tagen werden die drei Parlamentarier mit Flierl das weitere Vorgehen beraten.

Unterdessen hat HU-Präsident Jürgen Mlynek Dietel beauftragt, die Ablösung von Motzkus bei einer seiner Nebentätigkeiten, der Geschäftsführung einer der Tochtergesellschaften der Charité, in Gang zu setzen.

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