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Die Leiche im Aquarium

Spannend wie ein Thriller ist Ibsens „Nora“ an der Berliner Schaubühne geworden. Die Geschichte hat in der Inszenierung von Thomas Ostermeier so wenig Staub angesetzt wie Noras Designerheim

von ESTHER SLEVOGT

Man muss kein Trüffelschwein sein, um Ibsens „Nora“ wieder aktuell zu finden. Ein Blick in die Bild-Zeitung oder auf die Sachbuch-Bestsellerliste genügt. An der Berliner Schaubühne hat jetzt Thomas Ostermeier Ibsens Stück von 1879 triumphal inszeniert.

Die Geschichte der unterdrückten Ehefrau, die heimlich einen Kredit aufnimmt und eine Unterschrift fälscht, würde heute allein, da Leute mit ganz anderen wirtschaftskriminellen Delikten davonkommen, niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Doch Ostermeier baut in seiner Inszenierung das Szenario einer durch und durch von ökonomischen Machtverhältnissen beherrschten Beziehung auf, in der nicht mal mehr Noras Körper ihr selber gehört. Ob er ihre ständige sexuelle Verfügbarkeit verlangt oder darüber wacht, dass sie keine Süßigkeiten isst. Ob er ihr herablassend Geld in die Hand drückt oder sie leicht bekleidet auf einer Party vortanzen lässt. Das alles kommt schon bei Ibsen vor. Aber die Abgründe klaffen tiefer als je zuvor: Gegen die Gewalt, mit der die Nora von heute unterdrückt wird, ist die Welt der Nora des 19. Jahrhunderts fast noch ein Idyll. Während man diesem bis zur letzten Minute spannenden Theaterthriller zusieht, fällt einem all der mediale Müll ein, der täglich die Körperbilder und Lebensformen nach den Gesetzen des Marktes diktiert. Noras Puppenheim ist heute ein multimediales Gefängnis, aus dem es so leicht kein Entkommen gibt.

Im Programmheft treffen wir die Gefangenen der Puppenheime von heute: Shawne Borer-Fielding, Ariane Sommer und Naddel, die sich für ihren Dieter die Zähne ausbrechen und Brüste vergrößern ließ, wofür sie zum Dank jetzt von einem geifernden Millionenpublikum verhöhnt wird. Bloß Verona Feldbusch fehlt, die Bohlen mit den eigenen Waffen schlug.

Bei Thomas Ostermeier spielt Anne Tismer die Nora. Erst noch als naives Luxusgeschöpf: Sie kommt vom Shoppen, hat die Weihnachtgeschenke für die Kinder dabei, und ihr Mann freut sich an seinem Geschöpf wie an einem besonders prächtigen Zierfisch in seinem enormen Aquarium. Und Nora freut sich am vielen Geld, das der gerade zum Bankdirektor beförderte Gatte bald verdienen wird. Doch bald schon zeigt ihr der Konsum sein Terrorgesicht, auf das sie selbst nur noch mit Terror reagieren kann. Zwei Stunden lang sehen wir Anne Tismers Nora immer verzweifelter an den Schnüren des zeitgenössischen Frauenbildes zappeln.

Das vorläufige Ende der Geschichte ist bekannt und war mal der Beginn eines wunderbaren Traums: Nora verlässt ihren Mann, um ihr eigenes Leben zu beginnen. Ostermeier lässt seine Nora ihren Emanzipationstext abspulen wie das leere Gerede, das Frauengruppen daraus längst gemacht haben. Bekanntlich hat es nichts geholfen. Auch nach hundertzwanzig Jahren hat Helmer noch immer als Einziger einen Schlüssel zum Briefkasten. Also setzt Ostermeier die Geschichte fort und Nora erschießt ihren Mann, durchsiebt ihn mit Kugeln. Helmer endet als Leiche im Aquarium, Nora sitzt als Verlorene vor der Haustür. Von Aufbruch keine Spur.

Das Puppenheim hat Jan Pappelbaum als Designerheim aus Milchglas, Chrom und Kirschholzfurnier gebaut. Kein Staubkorn, nirgends. Die drei Kinder sehen aus wie Käthe-Kruse-Puppen, ausstaffiert als Trophäen bürgerlichen Glücks. Am Anfang filmt sie der Vater für die „beste Mutti der Welt“. Am Ende kann das Aupairmädchen ihnen gerade noch die Winterjacken über die Pyjamas ziehen, bevor sie fluchtartig den Schauplatz der Ehekatastrophe ihrer Eltern verlassen.

Nebenbei erzählt der Abend noch eine andere Geschichte, von dem Rechtsanwalt Krogstad und Kristine Linde. Es ist die alte Geschichte, dass Geld nicht glücklich macht. Einmal haben sich die beiden geliebt. Dann musste Kristine einen reichen Mann heiraten, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Der verlassene Krogstad geriet auf die schiefe Bahn und wurde am Ende zum Erpresser. Jetzt hat er Kristine wiedergefunden, und gemeinsam fangen sie von vorne an. In einem langen, stummen Schrei fallen alle Qualen von Kay Bartholomäus Schulzes Krogstad ab. Sanft lächelt Jenny Schilys Kristine Linde ihn an. Wie gut wir sein könnten. Doch die Verhältnisse, die sind nicht so.

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