Schlafmohnbauern mucken auf

„Wir haben eine Luftwaffe“, sagt der Gouverneur.„Wenn nötig, werden wir uns zu helfen wissen“

aus Sahshup, Lashkargah und Kandahar PETER BÖHM

Der Fremde soll es endlich kapieren. Wütend reden die Bauern auf den Reporter ein. Die afghanischen Behörden haben im Mai ihren Schlafmohn zerstört und ihnen als Beweis dafür ein kleines, fotokopiertes Formular gegeben. Als Entschädigung sollten sie pro Jerib – circa einen sechzehntel Hektar – 350 US-Dollar bekommen. Für manche wären das über 3.000 Dollar.

Aber bisher hat die Regierung nicht bezahlt, die meisten Bauern haben noch kein Geld bekommen. Anfang November hat die Opiumsaison in Afghanistan wieder begonnen. Wer jetzt nicht die winzigen Blumensamen ausbringt, wird den Winterregen verpassen. „Wenn die Regierung uns nicht binnen einer Woche bezahlt“, schreit einer aus der Menge, „dann werden wir auf jeden Fall wieder Mohn anpflanzen.“

Die Menge aufgebrachter Bauern im Dorf Sahshup, 70 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Lashkargah gelegen, ist typisch für die Helmand-Provinz im Süden des Landes. Helmand ist traditionell Hochburg des Opiumanbaus in Afghanistan. Allein hier wurde in den vergangenen Jahren oft fast die Hälfte der landesweiten Ernte eingebracht. Doch Anfang des Jahres, gleich nach dem Sturz der Taliban, hat die Regierung Hamid Karsais angekündigt, die Opiumwirtschaft zu bekämpfen. Und deshalb schreien die Bauern in Sahshup jetzt so wild durcheinander.

Nach einigem Hin und Her bestimmen sie Arsalan Hussein zu ihrem Sprecher. Der Mann mit dem etwas weniger vollen Bart als in der Gegend üblich wohnt mit sieben seiner Brüder sowie drei seiner Cousins und deren Familien auf einem Hof. „Während der Ernte im Mai entsandte die Regierung eine Delegation in unser Dorf“, beginnt er seine Geschichte. „Alle Bauern wurden zusammengerufen. Uns wurde gesagt: ‚Wir werden die Pflanzen auf euren Feldern zerstören, aber ihr werdet dafür entschädigt.‘ “ Damit seien sie einverstanden gewesen, sagt Hussein. Sie hatten ja keine Wahl. Aber nun fühlen sie sich getäuscht. Und deshalb werden sie bald ihre Felder von neuem anpflanzen.

Die Versammlung der Bauern hat sich aufgelöst. Hussein führt durch seinen Hof. Wie im Süden Afghanistans üblich, sind alle Häuser der Familie Hussein flach und aus Lehm um einen Hof herumgebaut. Im ersten steht der eigene Traktor, im nächsten hat Hussein eine kleine Apotheke, in der er Medikamente verkauft, und dann folgen die Wohnhäuser. Weiter hinten liegt der Bereich der Frauen. Sie verlassen ihn nur ab und zu, bei einer Hochzeit zum Beispiel oder wenn sie krank sind. Im Hof tummeln sich Kühe, ein paar Ziegen und ein Wachhund. Der Mohnanbau hat der Familie Hussein also einen moderaten Wohlstand eingebracht, einen Wohlstand zumindest, den sie in dieser kargen Gegend mit dem Anbau von Weizen oder Baumwolle nicht erreicht hätte.

Dass in der trockenen, wüstenhaften Landschaft im Süden Afghanistans überhaupt Landwirtschaft möglich ist, liegt daran, dass es um Lashkargah Brunnen gibt, die zumindest das ganze Jahr Wasser führen. Für solche klimatischen Verhältnisse ist Schlafmohn die ideale Pflanze: Er braucht keine Pflege, er wächst auf fast jedem Boden, und Wasser braucht er nur alle zehn Tage.

Sogar einen Fernseher könnte sich Familie Hussein wohl leisten. Sie hat aber keinen, weil, wie Hussein sagt, „viele Leute im Dorf sagen, dass Fernsehen unislamisch ist“. Wie im Paschtunen-Gürtel in Afghanistans Süden üblich, spielt die Tradition in Sahshup eine große Rolle. Daran hat der Wohlstand durch Opium nichts geändert.

„Nein, niemand in Afghanistan raucht Opium!“, platzt in der Versammlung einer der Bauern heraus, noch bevor die Frage danach zu Ende formuliert ist. Die anderen Bauern schütteln den Kopf, so absurd erscheint ihnen diese Vorstellung. Aber was ist mit den Süchtigen in den Nachbarländern und in Europa? Die Versammlung murmelt unwillig. „Es stimmt, dass in Pakistan und im Iran viele Leute Opium benutzen“, sagt schließlich ein Älterer. Und in Europa? „Ja, unsere Regierung sagt, dass das in Europa ein großes Problem ist. Aber wir haben darüber keine Informationen.“

In der Frage der Kompensation ist Hussein derselben Meinung wie die anderen Bauern. Schließlich hat die Regierung ja ein Versprechen gemacht. Und all die Bitten und Beschwerden der Bauern, die Regierung möge die versprochene Entschädigung zahlen, waren umsonst. In vielen Städten im Süden und Osten Afghanistans ist es deshalb zu gewaltsamen Protesten gekommen. In Helmands Provinzhauptstadt Lashkargah haben mehrere hundert Menschen demonstriert, das Gouverneurshaus mit Steinen beworfen und versucht Marktstände anzuzünden.

„Das sind Bauern. Die wissen nicht, wie man demonstriert“, sagt einer der Markthändler in Lashkargah ärgerlich, der die Proteste miterlebt hat. Die Truppen des Gouverneurs rückten aus, schossen in die Luft, nahmen die Demonstranten fest und ließen sie nach einer Stunde im städtischen Gefängnis zum Abkühlen der Gemüter wieder frei. Es war schon das dritte Mal.

„Diese Leute hatten Benzinkanister dabei. Deshalb mussten wir eingreifen“, sagt der Gouverneur Mohammed Akinsada in der Provinzhauptstadt. Er ist jung, 33 Jahre alt. Mit dem Polizei- und dem Armeechef, die neben ihm sitzen, hat er gerade eine Besprechung hinter sich gebracht. Er versteht den Ärger der Bauern: „Wir haben keine Straßen, keine Schulen, keine Krankenhäuser. Die Bewässerungssysteme sind zerstört.“ Ihre Entschädigung würden die Bauern irgendwann schon kriegen. „Wir haben sie ihnen versprochen.“ Sie zu bezahlen sei jedoch Aufgabe der Regierung in Kabul, und er habe keine Ahnung, wann das Geld komme. Die Aussicht, die aufgebrachten Bauern könnten ihm so lange Schwierigkeiten bereiten, macht ihm keine Sorgen: „Jetzt herrscht Demokratie in Afghanistan“, sagt er gut gelaunt. „Und jeder kann so viel demonstrieren, wie er will.“ Im Übrigen seien Polizei und Militär in Helmand gut ausgerüstet, die zwei Uniformierten neben ihm nicken dienstfertig: „Wir haben eine Luftwaffe. Wenn es nötig wird, werden wir uns auf jeden Fall zu helfen wissen.“

Das könnte nötig werden. In Kandahar sitzt der Vizegouverneur der dortigen Provinz auf seinem Sofa. Wenn er erzählt, hat man nicht das Gefühl, dass er viel Verständnis für die Bauern aufbringt. Shoeib Waffa, der seinen Chef wegen einer Dienstreise vertritt, will von ausstehenden Entschädigungszahlungen nichts wissen. Eigentlich hat der Gouverneur von Kandahar dem von Helmand keine Weisungen zu geben, aber er hat seine eigenen Zolleinnahmen von der pakistanischen Grenze und die besseren Verbindungen nach Kabul. Das macht ihn zum Primus inter Pares, und er hat seine Kollegen im Süden im Frühjahr gedrängt, rabiat gegen den Mohnanbau vorzugehen. Diese Saison will Waffa die Mohnpflanzen mit noch effizienteren Mitteln zerstören. Seine Regierung, berichtet er, habe eine Spezialtruppe von 100 Polizisten aufgestellt, die werde alle potenziellen Anbaugebiete kontrollieren – Helmand eingeschlossen. Großbritannien habe dafür 14 Geländewagen gestellt und wie in der Saison zuvor auch die Entschädigungszahlungen für diejenigen Bauern, die sich bereit erklären, keinen Mohn anzubauen. Aber was ist mit den Zahlungen der vergangenen Saison? Wer noch nicht bezahlt worden sei, sagt Waffa, der werde nichts mehr bekommen. „Viele, deren Pflanzen wir zerstört haben, hatten doch schon angefangen zu ernten, als wir kamen. Natürlich können sie nicht zweimal kassieren.“

Das werden die Bauern in Sahshup nicht gerne hören. Einer aus der Menge hatte geschrien: „Wenn wir unser Geld nicht kriegen, werden wir kämpfen.“ Der Übersetzer sagte dazu: „Die können nicht kämpfen. Dafür sind sie viel zu schwach.“ Darauf der Zornige: „Na, dann lassen wir uns in Stücke hauen.“