: Farbenblinde Kalauer, kokette Bauschäden
Das Focke-Museum präsentiert einen Ritt durch die Bremer Architekturgeschichte. Von 1950 bis heute zeugen in der Ausstellung fast sechzig Gebäude vom Wandel der Stile und Zeiten. Studierende und Architekturexperten haben diese Geschichte anschaulich, informativ und geistreich aufbereitet
Vor welchen Alternativen die Welt oder, sagen wir, die Stadt, doch manchmal steht. Im neuen großzügigen Schauraum des Focke-Museums zeigt ein Modell aus dem Stadtplanungsamt den Platz zwischen Dom, Rathaus, Schütting und Bremer Bürgerschaft. Im historischen Ensemble setzt der moderne Parlaments-Bau ein deutliches Zeichen. Neben diesem Modell steht auf einem Sockel ein anderer Entwurf: Eine Häuschenzeile mit Spitzgiebeln und allerhand anderen Historismen rangierte als zweite mögliche Variante für das Parlamentsgebäude. Und egal, wie man zu den Alternativen „Moderne“ oder „Historismus“ steht: Die beiden Modelle verdeutlichen, welch weitreichenden Entscheidungen für die Architektur und damit den Städtebau von Zeit zu Zeit anstehen.
In einer Sonderausstellung präsentiert das Focke-Museum ab Sonntag 50 Jahre bremische Architekturgeschichte. „Mit viel Licht und Luft also“ ist der Titel dieser in Kooperation mit Hochschulen, Architektenkammer und dem Institut Architop entwickelten Schau – sie setzt ein bei den (Wiederauf-)Bauten der 50er Jahre und endet beim Universum Science Center aus dem Jahr 2000. Dazwischen liegen Highlights wie das Focke-Museum selbst (1964), das „Demonstrativbauvorhaben Tenever“, der Anfang der 80er zum Kulturzentrum umgebaute Schlachthof und das Marterburg-Ensemble aus den 90ern. Und noch viel mehr. Insgesamt 58 Gebäuden und Gebäudeensembles spürt die Ausstellung in einer ansprechenden Mischung aus Fotografien und detaillierten Beschreibungen nach. Studierende der Kunsthochschule haben sich, so Professor Jörg Kirschenmann, „typischen, das heißt aufschlussreichen Objekten“ gewidmet. Das Ergebnis ist eine Serie subjektiver Bilder, die gleichwohl versuchen, den Geist der Zeit aufs Fotopapier zu bannen. Durch die Präsentation in Glasvitrinen bleibt etwas vom körperlichen Charakter der Architektur: Besucher und Besucherin flanieren wie durch eine Straße.
Die Fotos blieben gleichwohl unbefriedigend, wären da nicht die gründlich aufbereiteten Informationstafeln. Auf ihnen finden sich die Grundrisse aller 58 Gebäude; versehen mit einer kurzen stilistischen Einordnung und Hinweisen zur Baugeschichte liefern die Tafeln – entstanden im Fachbereich Architektur der Hochschule Bremen – Wissenswertes, und erfreuen zudem mit Zitaten zum Thema. Kleine Kostprobe gefällig? In der Architekturzeitschrift Bauwelt wird die postmoderne Marterburg – das bunte Häuserhäuflein zwischen Wallanlagen und Domsheide – unter der Überschrift „Erfundene Altstadt“ in der Luft zerrissen: „Nach diesem Exorzismus des schlechten Geschmacks, farbenblinder Kalauer, koketter Bauschäden muss man doch mit geläuterter Seele ganz von vorn anfangen können“, echauffiert sich der Kritiker. Aber die Menschen finden dennoch Gefallen an den exzeptionellen Häusern – auch das verschweigt die Tafel nicht.
Drittes Element der Ausstellung ist eine halbstündige Dia-Show, die der Architektur-Wissenschaftler und Eberhard Syring erarbeitet hat. War Bremen architektonisch auf der Höhe der Zeit? Diese Frage begleitet die Show, in der nationale und internationale Trends der Architektur und des Städtebaus mit Bremer Beispielen konfrontiert werden.
Schließlich ist für ein umfangreiches Begleitprogramm gesorgt: In einer Zeitzeugen-Reihe schildern Architekten wie Gerhard Müller-Menckens, Harm Haslob oder Wilfried Turk die Bremer Baugeschichte als Geschichte Bremer Architekturbüros. Ein Kolloquium widmet sich zudem im Januar der „Zukunft der Architektur“. „Wir wollen nicht nur die Architektur ins Museum tragen, wir wollen die Debatte darüber in die Stadt tragen“, so Projektleiter Ralf Rummel. Und wenn es den Veranstaltern tatsächlich gelingt, eine Ausstellung über die durch den Ausbau gefährdete Bremer Stadthalle aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst herzuholen – dann wäre dieser Anspruch eingelöst.
Elke Heyduck
Eröffnung Sonntag, 11.30 Uhr
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