piwik no script img

Der Philosoph beim Autofahren

In „D’ailleurs Derrida – Derrida anderswo“ will die Regisseurin Safaa Fathys dem französischen Philosophen Jacques Derrida ein filmisches Denkmal setzen. Doch der Inszenierung des unaufhörlich sprechenden Mannes fehlt jedes Gegenüber

von INES KAPPERT

„Seit dreißig Jahren unterrichte ich jeden Donnerstag Nachmittag um fünf“, erzählt Jacques Derrida. Er sitzt im Auto, und der Kassettenrekorder spielt algerische Weisen, während er durch enge Pariser Straßen zu seinem Arbeitsplatz kurvt. Die Kamera begleitet ihn. Alles Routine. 45 Bücher, in etwa 22 Sprachen übersetzt, hat der in Algerien aufgewachsene Philosoph der Dekonstruktion bislang veröffentlicht. Vom geächteten Stiefkind, das die Grundregeln der philosophischen Disziplin missachtete, ist der französische Denker in den 90er-Jahren zu einem der berühmtesten Philosophen der Gegenwart avanciert.

Nun ist er 72 Jahre alt, und es scheint an der Zeit, ihm auch filmisch ein Denkmal zu setzen. Als erste hat sich Safaa Fahty daran gemacht und den Dokumentarfilm: „D’ailleurs Derrida – Derrida Anderswo“ gedreht. Der Titel ist Leitmotiv für den Dokumentarfilm über einen Philosophen, dessen größte Anstrengung dem Denken der Vieldeutigkeit gilt. Derrida prägte hierfür neue Begriffe. Der berühmteste dürfte „Dekonstruktion“ sein, in dem sich die „Konstruktion“ und „Destruktion“ ineinanderschieben. Grob zusammengefasst meint Philosophieren nach Derrida immer die Gleichzeitigkeit von Errichten und Zerstören. Der Umstand, dass zum Beispiel im Aufbau einer Theorie eine andere zerstört wird und diese dennoch immer ihre Spuren zurücklässt und somit nicht kontrollierbare Bedeutungsverschiebungen stiftet, halte die Sprache und in Folge die Philosophie subversiv und lebendig. In ihrer Vieldeutigkeit unterlaufe sie jede bereinigte, totalitäre Position und führe so die Ideologie von der einen Wahrheit ad absurdum. Eine Provokation für jeden ordentlichen Hermeneuten.

Auch die Regisseurin arbeitet mit einem unauflösbaren Widerspruch: Sie möchte die Geschichte eines (Arbeits-)Lebens ohne Freunde oder Feinde, ohne Familie, ohne Kollegen erzählen. Denn das wäre eine Verortung. Wir aber erinnern: Derrida ist d’ailleurs (übrigens) immer woanders. Also sehen wir nur eine Person – und dies 68 Minuten lang. Die einzigen Ausnahmen sind auch nicht sehr befriedigend: Einmal läuft die Ehefrau durchs Bild; eine längere Einstellung ist dem Philosophen-Freund Jean-Luc Nancy gewidmet. Sie sprächen eigentlich nie über Philosophie, verrät dieser, Freundschaften müssten irgendwie wortlos funktionieren. Ansonsten: Derrida im Auto, Derrida beim Spaziergang durch eine vermutlich algerische Steppenlandschaft, Derrida im Garten seiner Villa wo auch immer, Derrida vor einem Schuppen, in dem er seine Korrespondenz und die Arbeiten seiner Studenten aufbewahrt. „Irgendwann muss ich hier aufräumen“, erklärt er mit einem Anflug von Verlegenheit. Der unaufhörlich sprechende Mann mit den weißen Haaren bleibt in dieser Inszenierung der alleinige Blickfang. Und erzählt vom Exhibitionismus des Schreibens, von der Liebe und davon, dass ein Wir nur ein Versprechen, niemals reell wäre.

Fast ließen diese Platituden auf Zynismus schließen, allerdings setzte dieser einen gewissen Humor voraus. Doch leider ist die komplette Dekontextualisierung von Derrida der einzige Witz, den sich der Film erlaubt. Die Folge ist Langeweile. Und ein Erstaunen darüber, wie ein Philosoph, dessen unhintergehbare Kritik am Geniekult und an Lektüremodellen, die literarische oder philosophische Texte über die Biografie des Autors erschließen wollen, in dieser ungebrochen eitlen Egomanie inszeniert werden kann. Denn sie gibt nicht nur nichts preis, sie erzählt auch nichts.

„D’ailleurs Derrida – Derrida anderswo“, Regie: Safaa Fathy, mit Jacques Derrida, Frankreich 2000, 68 Min.,im Eiszeit-Kino

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen