: Ein Bio-Ritter aus Sachsen
Einst war Ingo Rittmeyer ein durch Fast Food geschädigter Werbechef – heute vermietet er als Ökobauer milbenfreie Matratzen. Gäste genießen Vollkorn und Wohnungen mit Stromfreischaltung
von HANNE BAHRA
Ingo F. Rittmeyer ist der vitale Beweis seiner Botschaft: Man ist, was man isst. Der Mann ist fast 70 und fordert mich glatt zu einem Wettlauf um den Hühnerstall auf. Ich verzichte, nach drei Stunden Autofahrt in das winzige Nest bei Leipzig ohnehin lahm, und glaube dem dynamischen Typen gern ohne Anstrengung seine wundersame Genesung.
Vor mehr als 25 Jahren bekam Rittmeyer plötzlich Schmerzen in Hüften und Knien. Diagnose: Arthrose, Gicht, Rheuma, Verschleiß. Keine Aussicht auf Heilung. Die Ärzte prophezeiten Krücken, später Rollstuhl. Doch damit wollte sich der damalige Werbechef der Ludwigshafener Raiffeisen-Warenzentrale nicht so einfach abfinden. Auf der Suche nach einer Alternative las er sich bis zu Hippokrates durch, der vor über 2.500 Jahren geschrieben hatte: „Eure Lebensmittel sollen eure Heilmittel, eure Heilmittel sollen eure Lebensmittel sein.“ Heureka! Er hatte sich ein Leben lang krank gegessen. Fortan beschäftigte er sich mit gesunder Ernährung, als deren Erzfeind er bald schon das schöne weiße, aber vitalstoffarme Auszugsmehl erkannte. „Nur Vollgetreide spendet Gesundheit und Energie“, predigt er seitdem unermüdlich.
Seinem Sendungsbewusstsein kam Mitte der Neunzigerjahre die Rückübertragung des väterlichen Rittergutes in Sachsen sehr entgegen. In dem 1840 erbauten Gutshaus erblickte er einst das Licht dieser Welt. 1953 flüchtete die Familie in den Westen. Wieder daheim, erwuchs aus Rittmeyers geglücktem Selbstversuch ein allen verfügbares Gesundheitszentrum. Das alte Wohnhaus wurde baubiologisch saniert und mit Ferienwohnungen ausgestattet. So ist zum Beispiel eine Stromfreischaltung von Kinder- und Schlafzimmern zur Vermeidung von Elektrosmog selbstverständlich. Türen und Fenster sind aus naturbelassenem Kiefernholz. Die Heizung besteht nicht aus den üblichen, Hausstaub aufwirbelnden Warmluftkonvektoren, sondern ist mit Röhrenradiator-Heizkörpern ausgestattet, die mit Öl betrieben werden, unterstützt von sichtbar auf dem Dach montierten Sonnenkollektoren. Und da man nicht nur ist, was man isst, sondern auch so schläft, wie man sich bettet, gibt es in den hellen Zimmern Betten aus Naturfaser, die einen natürlichen Bitterstoff enthalten, der Hausstaubmilben abwehrt. Der Stoff der Bettwäsche stammt ebenso aus kontrolliert biologischer Erzeugung.
Glückliche Hühner – 300 Tiere auf rund 4.000 Quadratmetern – sorgen für das morgendliche Ei. In den Gewächshäusern reifen giftfrei an die 20 verschiedene Gemüse und Salate. Die 41,5 Hektar Ackerland werden konsequent nach ökologischen Grundsätzen bewirtschaftet.
Sämtliche Produkte kann man im Hofladen kaufen. Inzwischen hat Ökofreak Rittmeyer sein Sortiment derart erweitert, dass man hier seinen gesamten Haushalt von der Seife bis zum Staubsauger ausstatten könnte. Im Dufte Heil bringender Brote hängt eine Tabelle des Schreckens: Die Mengen an Eisen, Magnesium, Calcium und Vitamin B1 sind im Auszugsmehl so viel geringer als im Vollkornmehl. Provitamin A und Vitamin E: Schwund hundert Prozent – die Ernährung mit Weizenauszugsmehl ist eine Mangelernährung.
„Ein Landwirt würde nie auf die Idee kommen, Tiere statt mit Vollgetreide mit vitalstoffarmen Auszugsmehlprodukten zu füttern.“ Mein Gott, ich werde kein weizenblondes Brötchen mehr essen können. Ich greife mir eines der wegweisenden Bücher, die Autor Rittmeyer im Eigenverlag herausbringt, und falle auch ohne Wettrennen erschöpft auf mein Ökobett. Nach einer Woche Landluft und Vollwertkost werde ich dem Bio-Ritter vielleicht gewachsen sein.
Bio-Rittergut Rittmeyer, 04509 Zschortau, OT Kreuma 23, Telefon: (03 42 94) 7 31 10, www.bio-rittergut.de, Appartement ohne Frühstück für eine Person pro Nacht 35–45 Euro, jeder weitere Gast 20 Euro.
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