: Dance to the Vergangenheit
Als das World Trade Center noch stand und man British Knights an den Füßen trug: Missy Elliott hat im Archiv gestöbert und beschwört auf ihrer neuen CD „Under Construction“ die guten alten Zeiten des HipHop – und Amerikas im Allgemeinen
von HARALD PETERS
Nun also wieder alles auf Anfang. Nachdem sich Missy Elliott, ihrerseits praktizierende Futuristin im Dienste des HipHop-Business, zuletzt um die Aufwertung des Schlampentums verdient gemacht hat („Da Real World“, 1999), um sich anschließend den geheimen Freuden des Hedonismismus hinzugeben („Miss E … So Addictive“, 2001), pflegt sie auf ihrem neuen Album „Under Construction“ die Rückbesinnung auf vergangene Werte. Den Anlass dazu soll in erster Linie der Flugzeugabsturz ihres Schützlings Aaliyah gegeben haben, aber auch der tödliche Verkehrsunfall der TLC-Sängerin Lisa „Left Eye“ Lopes spielte wohl eine Rolle. Da Missy Elliott aber offenbar den gegenwärtigen Zustand des HipHop im Besonderen sowie den der Welt im Allgemeinen mit Argwohn betrachtet, ist das Werk nicht den Angehörigen verstorbener HipHop-Größen gewidmet, sondern ein paar anderen Hinterbliebenen auch: „From the World Trade family, the Left Eye family, Big Pun family, Biggie family, Pac family to the HipHop family. We are all under construction, trying to rebuild ourselves.“
Nun sollte man sich diese als Trauerarbeit getarnte Genre-Rekonstruktion nicht unbedingt als schwermütige Angelegenheit vorstellen, sondern interessanter Weise als ein recht beschwingtes Werk. Denn eigentlich geht es auf „Under Construction“ vor allem um Sex, Partys und Sex sowie die traditionell unvermeidlichen HipHop-Disziplinen des Beschimpfens und Erniedrigens der leidigen Konkurrenz. Doch nach Missy Elliott soll dies nun in durchaus respektvoller und fast schon liebevoller Art stattfinden, so wie damals, als man sich nach einem zünftigen Wortgefecht nicht gleich anschließend erschoss. Mit diesem Damals meint Missy Elliott wohl die späten 80er und frühen 90er Jahre, als man British Knights an den Füßen trug, die sich zu Heavy D, MC Lyte und Run DMC bewegten. Bemerkenswert ist vor allem, dass auch quasi-militärische Formationen wie Public Enemy oder der seinem Image nach grundsätzlich gewaltbereite Ice Cube im Zuge dieser Vergangenheitsverklärung zu absolut friedfertigen Partyrappern umgedeutet werden, die nichts anderes trieb, als die Liebe zu guter Musik.
Dieser Umstand wird vor allem jenen HipHop-Soziologen Kopfzerbrechen bereiten, die dazu neigen, jeden von Missy Elliotts Schachzügen derart mit Bedeutung zu überfrachten, als wollten sie sich damit für den demnächst einzurichtenden Missy-Elliott-Lehrstuhl bewerben. Denn bei Licht betrachtet ist „Under Construction“ in konzeptueller Hinsicht genauso großer Unfug wie all ihre Alben davor auch. Gebrauchte sie in „Da Real World“ das Wörtchen „Bitch“, um hinterher zu erklären, dass sie das eigentlich gar nicht so meint, so feierte sie auf „Miss E … So Addictive“ den Konsum von Partydrogen, um anschließend dringend vor deren Einnahme zu warnen. Passend dazu glorifiziert „Under Construction“ nun eine Vergangenheit, die es so wahrscheinlich nie gab.
Das sollte allerdings niemanden kümmern, denn auch dieses Album klingt wieder gut. Um die fiktive Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, hat sich ihr ewiger Produzent Timbaland in die Archive begeben und ist mit allerlei Samples zurückgekehrt. Folglich hört man auf „Under Construction“ jede Menge historisches Soundschnipselwerk, das hier und da in die Tracks eingepasst wurde. Mit Jay-Z feiert sie in dem relativ schwachen „Back In The Day“ die guten alten Zeiten, mit Method Man singt sie dessen alten Gassenhauer „Bring The Pain“ noch einmal komplett neu ein, während die grandiose Single „Work It“ an prominenter Stelle nicht nur zu trompetenden Elefanten und rückwärts gesprochenen Rap-Einlagen rüberblendet, sondern auch zu dem Klassiker „Peter Piper“ von Run DMC. Es ist dabei lobend hervorzuheben, dass das Album trotz des sentimentalen Ansatzes keinen Sekunde lang gestrig wirkt, sondern dank modernster Produktionstechnik ein schönes Beispiel ist für einen Retro-Futurismus einer sozusagen völlig neuen Art.
Ganz weit vorn sind die in dieser Hinsicht auch Missys wegweisenden Blödsinns-Raps, wie „sex me so good I go bla, bla, bla“ oder auch „see my ass go a bomp a bomp bomp“. Allein ihre drei in Eigenregie eingespielten Titel „P***ycat“, „Nothing Out There For Me“ und „Can You Hear Me“ fallen vor dem Hintergrund der Timbaland-Produktionen deutlich ab. Aber das ist nicht weiter schlimm, schließlich kann man nicht alles können.
Missy Elliott „Under Construction“ (eastwest)
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