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Der Verbraucher hat die Wahl

Wie in der ganzen Lebensmittel-Massenproduktion steckt im neuen System kriminelles Potenzial. Immerhin: Der Kunde hat mehr Entscheidungsfreiheit

Wer zahlt, wenn ins Maisfeld eines Ökobauern durch Wind Genpflanzen eingewandert sind?

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

So viel Begeisterung – da fragt sich der kritische Konsument doch gleich, wo der Haken sein mag. Die Agrarminister der Europäischen Union haben sich am späten Donnerstagabend geeinigt, wie sie künftig mit genveränderten Substanzen im Futter und in der Nahrung umgehen wollen. Das Ergebnis befriedigt den Verbraucherschutzkommissar genauso wie die Umweltorganisation Greenpeace. Sogar die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer, die normalerweise kein gutes Haar an der EU-Lebensmittelpolitik lässt, spricht von einem „Meilenstein für Verbrauchertransparenz“.

Natürlich steckt im neuen System wie in der ganzen Lebensmittel-Massenproduktion eine Menge kriminelles Potenzial. Doch das neue Regelwerk gibt, wenn es beachtet wird, dem Verbraucher immerhin mehr Entscheidungsfreiheit. Es legt fest, dass für eine Übergangszeit von drei Jahren Lebensmittel mit bis zu 0,5 Prozent Genfood verschmutzt sein dürfen, ohne dass sie gekennzeichnet sein müssen. Die genveränderten Substanzen müssen auf Gesundheitsrisiken getestet, aber nicht in der Europäischen Union zugelassen sein.

Nach dieser Übergangszeit müssen alle Substanzen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zugelassen sein. Lebensmittel, die mehr als 0,9 Prozent genveränderte Substanzen enthalten, müssen mit einem Hinweis versehen werden. Das gilt auch dann, wenn die Substanzen im Endprodukt nicht mehr nachweisbar sind, zum Beispiel bei Sojaöl aus genveränderten Bohnen oder Glukosesirup aus genverändertem Mais, was bisher nicht auf dem Etikett auftauchte.

Von der Kennzeichnung ausgenommen bleiben Produkte aus Tieren, die mit Genfutter ernährt wurden, zum Beispiel Milch und Fleisch von einer Kuh, die Genmais gefressen hat. Immerhin weiß der Bauer künftig genauer, was er seiner Kuh unters Heu gemischt hat, denn neben genverändertem Mais, der bisher schon gekennzeichnet sein musste, gilt die Hinweispflicht nun auch für andere Bestandteile im Tierfutter wie Geschmacksverstärker, Vitaminzusätze und Sojamehl.

Das ermöglicht den Lebensmittelherstellern, mit einem neuen Gütesiegel für ihre Produkte zu werben: „Dieses Ei stammt von frei laufenden Hühnern, deren Futter keine gentechnischen Substanzen enthält.“ Greenpeace beruft sich auf Umfragen, nach denen 70 Prozent der europäischen Verbraucher Gentechnik in Lebensmitteln ablehnen. Korrekte Etiketten vorausgesetzt, können diese Käufer dafür sorgen, dass Genfood in der EU keine Marktchance hat.

Dass die europäischen Politiker sich im Zugzwang sehen, den seit vier Jahren bestehenden Zulassungsstopp für neue Genpflanzen zu beenden und dafür die Verbraucherinformation schärfer zu regeln, hat mehrere Gründe. Die Abschottungspolitik verstößt gegen die Regeln der Welthandelsorganisation. Außerdem sind sie überzeugt, dass Europa sich nicht auf Dauer von der Biotechnologie abkapseln kann. Biotech-Firmen wandern in die Vereinigten Staaten ab, da seit vier Jahren wegen des ungeklärten Verbraucherschutzes kein einziges genverändertes Produkt neu zugelassen wurde.

Simon Barber, dessen Verband EuropaBio unter anderem die Biotech-Töchter von Bayer und BASF vertritt, ist nach der Einigung im Ministerrat gedämpft optimistisch: „Ich hoffe, dass nun die Dossiers, die seit vier Jahren auf Eis liegen, weiter bearbeitet werden. Wenn im Sommer nächsten Jahres das ganze Gesetzespaket in Rat und Parlament beschlossen ist, könnten die Anträge rasch bewilligt werden.“

Immerhin weiß der Bauer künftig genauer, was er seiner Kuh unters Heu gemischt hat

Sorgen macht Barber nur, dass die Genehmigungsverfahren nicht zentral bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit abgewickelt werden. Für Saatgut soll auf nationaler Ebene das Umweltrisiko bewertet werden. Lebens- und Futtermittel sollen von der europäischen Behörde und dem EU-Ausschuss aus nationalen Fachbeamten gemeinsam begutachtet werden. Diese Form von EU-Bürokratie sorgt erfahrungsgemäß dafür, dass Anträge lange über die Schreibtische wandern.

Aus Sicht der Verbraucher und derjenigen Hersteller, die Gentechnologie ablehnen, ist die ungeklärte Haftungsfrage beunruhigend. Wer zahlt, wenn ins Maisfeld eines Ökobauern Genpflanzen eingewandert sind und die ganze Ernte auf dem Absatzmarkt für Bioprodukte unverkäuflich wird?

In Kanada hat in einem entsprechenden Fall ein Oberstes Gericht entschieden, dass der geschädigte Bauer der Biotech-Firma das Saatgut bezahlen muss, da er ja in den Genuss ihrer Pflanzen gekommen war. Da sich Samen durch Wind und Tiere über große Entfernungen verbreiten können, sind ähnliche Prozesse demnächst auch in der Europäischen Union zu erwarten.

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