: geläufig Bleistift kann nicht blöd sein
„Eines Tages hörte ich, wie eine Mitarbeiterin über ihren Bleistift sagte: ‚Der spinnt! Der will heute nicht schreiben!‘ “ Jedesmal, wenn sie ihn anspitzte und versuchte, mit ihm zu schreiben, brach die Bleistiftmine ab. In der japanischen Sprache kann man einen Bleistift nicht auf diese Weise personifizieren. Ein Bleistift kann weder blöd sein noch spinnen. In Japan habe ich noch nie gehört, dass ein Mensch über seinen Bleistift schimpfte, als wäre er eine Person. Das ist der deutsche Animismus, dachte ich mir.“ Dieses Zitat aus Yoko Tawadas Buch „Der Talisman“ zeigt, wie sich im normalen Alltag Fenster öffnen und wie man Alltägliches auch anders sehen kann, wenn man nur mal ein wenig den Blickwinkel verändert. Und es zeigt vor allem: Der angeblich rationale Deutsche, der mit seinem Bleistift redet, ist für uns ganz normal. Mir im Büro sitzt jemand gegenüber, der macht das auch den ganzen Tag. Aber jetzt erst frage ich mich, ob er sich wirklich das Ding als etwas Lebendes vorstellt, oder ob er diese Floskeln einfach nur so benutzt. Und wie ist es mit mir selber, wenn ich den Computer beschimpfe? Heute Abend kann man sich in der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei noch mehr Denkanstöße holen, wenn Yoko Tawada (Foto) und Mitsuhiro Muroi unter der Moderation von Thomas Schnellbächer reden und lesen über: „Archipel und Metropole – Lyrik und Prosa aus Japan. Lebende Dinge, schlafende Wörter“. Dieser andere Blick auf das Leben kann nur den Horizont erweitern. Und darum sollte man, so man Zeit hat, diese Veranstaltung besuchen. LAB
Literaturwerkstatt, 20 Uhr
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