: Keine Angst vor Klischees
Das Stück „Die Deutschlandtür geht auf und gleich wieder zu“ erzählt aus dem Leben von Emine Sevgi Özdamar
Wenn schon Grenzüberschreitung, dann gleich richtig. Kulturelle Herkunft, Geschlecht, Kunstgattung – alles wird in „Die Deutschlandtür geht auf und gleich wieder zu“, der neuesten Produktion der Volksbühne, überschritten. Im Mittelpunkt steht Emine Sevgi Özdamar, Schriftstellerin und Schauspielerin: Von deutschen Regisseuren wurde sie fast immer in der Rolle der türkischen Mutter besetzt, die in der Küche mit Kopftuch steht und ihre Kinder verteidigt. Als Autorin wurde sie mit autobiografischen Romanen („Die Brücke am Goldenen Horn“ u. a.) bekannt. An der Volksbühne, wo Emine Sevgi Özdamar 1976 mit dem Regisseur Benno Besson zu arbeiten begann, erzählen nun zwei Özdamar-Doubles aus deren und aus ihrem Leben, als wäre es eins. Die eine Emine wird von Claudia Contreras gespielt, einer Schauspielerin aus Nicaragua mit revolutionärer Vergangenheit; die andere Emine verkörpert Mesut Özdemir, ein Transvestit mit hüpfendem Bauch in den Tanzszenen.
Türkei – Kopftuch – Bauchtanz? Tatsächlich verbindet Özdamar und Özdemir, dass sie keine Probleme mit ethnischen Klischees und Geschlechterrollen haben. Nahe sind sich die beiden auch im Vertrauen in die eigene Schönheit, die sie, wenn sie nur gespiegelt wird, wie eine warme Aura umstrahlt. In dieser Unbefangenheit liegt eine Stärke des netten Abends. Entwickelt wurde die „fiktive Biografie“ von Pauline Baudry, Brigitta Kuster und Renate Lorenz.
Mesut Özdemir und Claudia Contreras sitzen am Küchentisch und tauschen Erinnerungen aus. Ein bisschen tratschen, ein wenig ausschmücken: die Redelust prägt diese Gesprächsperformance und ist ein Spiel mit der Fremdheit der deutschen Sprache. Der Rosa-Luxemburg-Platz etwa gefällt ihnen erstens aus politischen Gründen – als Emine Sevgi Özdamar 1976 dort ankam, war das Lesen von Rosa Luxemburg in der Türkei ein Verbrechen. Zweitens aber lieben sie die Vorstellung von „rosa Luxus“.
In ihren Büchern erzählt sie von ihren großen Liebestaten in den Betten rauchender Revolutionäre. In ihren Filmen durfte sie diese Wildheit nie spielen. Deshalb ist es nur ausgleichende Gerechtigkeit, wenn sich ihre Doubles in die Rollen von Maria/Jeanne Moreau und Maria/Brigit Bardot beamen, die in einem Kultfilm „Viva Maria“ in Mexiko Revolution machten. „Kann die Technik mir das bitte zuspielen“, ruft Mesut Özdemir, und schon erscheinen die Filmbilder auf der Leinwand, als hätte er an Aladins Lampe gerieben.
Was gemeinhin als „Leben zwischen zwei Kulturen“ angesehen wird, läuft selten so rund wie bei Emine Sevgi Özdamar. Nicht Zorn und nicht Trauer prägen ihre Perspektive, sondern ein verblüffender Pragmatismus, der die Schwächen der anderen für sie selbst oft ins Produktive zu wenden weiß. Wenn sie zum Beispiel die partielle Blindheit des Regisseurs Hark Bohm, für den sie in „Yasemin“ 1988 die Mutter spielte, gegenüber dem Alltag in der Türkei beschreibt, dann im Ton des Erstaunen über seine Wahrnehmungsausfälle und der Zufriedenheit, dass ihr, die differenzierter sieht, das Leben mehr zu bieten hat.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Am 10., 21., und 27. 12., 20 Uhr, Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg
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