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Sauerbraten gegen Pick-up-Truck

Zwei Koffer mit Kleidern, ein paar Fotos – mehr kommt nicht mit: „Ikea gibt’s auch in Amerika“

aus Bottrop HEIKE HAARHOFF

Bottrop, 17. Juli. Der Ashley hat ihm den Floh ins Ohr gesetzt. Da war der Steffen 13 oder 14. Der Ashley war nett. Wohnte mehr hier als zu Hause. Suchte wohl auch Anschluss, so ganz allein als Amerikaner in Bottrop. Sein Vater arbeitete um die Ecke in Kirchhellen bei Movie World, Warner Brothers. Ein Jahr lang. Dann ging Ashleys Familie zurück nach Los Angeles, und der Steffen war seinen besten Freund los.

Jetzt ist der Steffen 20 und hat Migräne und ist nicht in der Stimmung, in der man gern erzählt, wie es ist, wenn man auswandert und ein ganz neues Leben beginnt. Deswegen kommt seine Mutter, Doris Scholand, heute mal mehr zu Wort und kann sich ihre Traurigkeit über den nahenden Abschied ein bisschen von der Seele reden. „Der wollte da immer hin, seit er den Ashley kannte, mit 15 war er dann das erste Mal in den USA, dann noch mal, und jetzt“, es ist nicht leicht, den Blick fest und nach vorne gerichtet zu halten, wenn das jüngste Kind das Haus verlässt, „und jetzt eben ganz.“

Doris Scholand, ihr Mann Josef und ihre beiden Söhne Steffen und Tim, 22, sitzen im Garten ihrer Doppelhaushälfte in Bottrop. Von hier aus ist der Blick auf den Förderturm von Prosper-Haniel unverstellt. Steffen Scholand arbeitet seit 1998 unter Tage auf Prosper IV, Schacht zehn, erst als Azubi, seit Februar dieses Jahres als Industriemechaniker im Abbau im Streb. „Ich sorg’ dafür, dass die Bude nicht einbricht.“

In drei, vier oder sechs Wochen, sobald das Visum da ist, wird er es nicht mehr so nah haben zur Arbeit: 50 Kilometer liegen zwischen Beckley, der Stadt mit 20.000 Einwohnern in West Virginia, und dem Steinkohletagebau Simmons Fork in einer hügeligen Mittelgebirgslandschaft der Appalachen im Osten der USA. Ihm macht das nichts aus. „Ich wäre so oder so gegangen.“

Und jetzt geht er eben so: Die Annonce hatte er in der Mitarbeiterzeitung des Essener Bergbaukonzerns RAG entdeckt. Qualifizierte Bergleute für die Gruben der RAG Coal International in den USA würden gesucht, hieß es da. Das Besondere: Nicht bloß für einen mehrjährigen Arbeitseinsatz sollten die Mitarbeiter aus dem Ruhrgebiet über den Atlantik geschickt werden, sondern als richtige Auswanderer. Sozusagen für die Ewigkeit.

Deutsche Steinkohle ist teuer, ihre Förderung ein Auslaufmodell. Seit Jahren bauen die Bergwerke an Ruhr und Saar Stellen ab. Aber Kumpel aus deutschen Zechen in die USA zu vermitteln, um Jobs zu reduzieren, das ist neu. 100 Bergleute schickten ihre Bewerbung los. 100 für zwei Stellen.

Steffen Scholand wusste, es war seine Chance. Eine gute, eine sichere. „Er hat ja einen richtigen Arbeitsvertrag in der Tasche, anders als die Auswanderer früher“, sagt seine Mutter, und diesmal klingt sie nicht mehr traurig, sondern stolz. Sollte ihn das Heimweh ganz schlimm packen, kann er nach einem Jahr nach Deutschland zurückkehren. Auch ein Wechsel innerhalb des international tätigen Konzerns ist möglich.

Steffen Scholand steckt sich eine Camel an, der Rauch steigt vorbei an einer zweifach gepiercten Augenbraue und blonden Gellocken. Nein, er hat nicht vor, wiederzukommen. „Ich habe mich seit Jahren darauf vorbereitet.“ Als er dann, endlich, im Frühjahr nach West Virginia fahren durfte, um sich persönlich vorzustellen und sein neues Zuhause zu besichtigen, war alles klar. Was ist so schlimm an Deutschland? „Atmosphärenmäßig gefällt es mir in den USA besser, die Leute sind netter, viel netter als hier, man kommt einfacher mit ihnen in Kontakt, und meine Freunde von hier können mich ja besuchen kommen.“ Das Auto hat er schon verkauft, zwei Koffer mit Kleidern und ein paar Fotos gepackt. Mehr kommt nicht mit. „Die haben da 110 Volt“, sagt er, „und ansonsten – Ikea gibt’s auch in Amerika.“

Der Steffen sei schon immer eigensinnig gewesen, sagt sein Vater. Von ihm jedenfalls könne der Junge das Fernweh nicht geerbt haben. „Ich arbeite seit 30 Jahren auf Prosper, und aus Bottrop weg war ich nur einmal, sechs Monate in Amsterdam, aber das war zur Flower-Power-Zeit.“ Abgesehen davon habe er auch nicht so gute Sprachkenntnisse wie sein Sohn. Dessen Arbeitgeber hat ihn zu einem Sprachintensivkurs nach England geschickt. Dort hat er gelernt, wie er sich als künftiger Sprenggehilfe in den Kohleflözen von West Virginia seinen neuen Kollegen vorstellen muss: als „demolition man“.

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