: Bis aufs Blut gekeuscht
Wer sich nicht als Mann verkleiden kann, verkleidet sich als Nonne und wird dann vielleicht eine Dichterin: Das schwullesbische Filmfestival „Verzaubert“ widmet der Nonne mit Filmen wie „Sister Smile“ und „Magdalena Sisters“ eine kleine Sonderreihe
von ANNETT BUSCH
Die Schwester Oberin, Sister Bridget, steht mit leuchtenden Augen vor ihren Schutzbefohlenen und gesteht ihre heimliche Liebe: Westernfilme. Da es sich an Weihnachten aber nicht anschickt, den Mädels Cowboys vorzuführen, hat der Erzbischof „The Bells of St. Mary’s“ ausgesucht. Im Gegenschnitt zu Sister Bridgets runzelig gebanntem Gesicht sieht man Ingrid Bergmans verzückt nach oben gewandte Augen, und just, als eine Träne über ihre Wange kullert, kullert sie auch bei der sonst so gestrengen Schwester Oberin. Identifikation glänzt in ihren Augen. Ach, so rein wirkt das hell schimmernde Gesicht von Ingrid Bergmann im sehnsuchtsvollen Flehen zum Herrn.
So weit Peter Mullans „Magdalene Sisters“. Bei Roger Deutsch flimmert in „Sister Smile“ das Hollywood-Rührstück „The Singing Nun“ (1966) von Henry Koster über den Fernseher. Die „singende Nonne“ Janine Decker, die in den Sechzigern in Belgien mit „Dominique-nique-nique“ einen Hit hatte, wird hier von Debbie Reynolds gespielt. Die frohe heile Welt Kosters hat mit der düsteren von Roger Deutsch wenig zu tun. Janine Decker ist nicht Janine Decker. Mit teils theatralisch stilisierten Bildern, die vor allem Janines Wahrnehmung spiegeln, inszeniert Roger Deutsch den Star gar nicht lächelnd, sondern existenziell nervenaufreibend. Bis zum Doppelselbstmord.
Nonnenfilme. Der Fantasie freier Lauf. Was wird wohl gespielt hinter den dicken Klostermauern? Das Verzaubert-Festival widmet den Nonnen ein „Special“, nennt es „Unbequeme Schwestern“ und zeigt drei Filme: den diesjährigen Venedig-Preisträger „Magdalene Sisters“, „Sister Smile“, und Maria Luísa Bembergs „I, The Worst of All“, die Geschichte der hoch begabten und (das darf nie fehlen) so schönen Juana Inés de la Cruz, die im Kloster in Mexiko erst einen Freiraum fand, um sich ganz den Studien und der Poesie zu widmen, und umso mehr den konservativen Kirchvätern ein Dorn im Auge war. Inzwischen gilt sie als eine der bedeutendsten Dichterinnen des spanischen Barock.
Diese drei Filme plus Lesung mit Andrea Krug, der Übersetzerin und Verlegerin des Buches „Sor Juanas zweiter Traum“ von Alicia Gaspar de Alba, gleich ein Special zu nennen, mutet übertrieben an, zumal man sich streiten kann, ob „Magdalene Sisters“ überhaupt ein „Nonnenfilm“ ist. Das Argument Aktualität spielt für das queere Verzaubert-Festival jedoch eine große Rolle (sonst könnte man die Auswahl auch willkürlich nennen), und dass neben den beiden neuen Filmen auch „I, The Worst of All“ von 1990 das Programm ziert, ist wohl dem just ins Deutsche übersetzten Roman von Alicia Gaspar de Alba zu verdanken.
Viel gemeinsam haben die jeweiligen Nonnen nicht, auch die dahinter liegenden Intentionen sind völlig verschieden. „Ich hab ‚Dominique-nique-nique‘ als Kind immer im Radio hören müssen – und habe es gehasst“, erzählt Roger Deutsch, der mit „Sister Smile“ nach drei preisgekrönten Kurzfilmen seinen ersten Spielfilm realisieren konnte. An Sister Smile interessierte ihn eher die aufreibende Figur, die Verschiebung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, weniger die Nonne. „Da ich mich nicht als Mann verkleiden konnte, verkleidete ich mich als Nonne“, sagt Sor Juana Inés de la Cruz in „I, The Worst of All“. Und die spanische Vizekönigin wundert sich: „Sie sind mehr Dichterin als Nonne und mehr Nonne als Frau“ (und bekam Gedichte gewidmet, deren Verse vermuten lassen, dass die Nonne ebenso Frau wie Dichterin war).
Dass das Nonnesein nicht der „natürlichen“ Bestimmung des Frauseins entspricht, ist einer der roten Fäden, der sich durch das Genre des Nonnenfilms zieht. „Die Nonne wird nicht als geschlechtliches Wesen wahrgenommen, sie verliert ihr Frausein, während der Mönch, trotz Kutte, weiterhin als Mann wahrgenommen wird.“ Und: „Die Nonne passt nicht zu den Kinovorgaben des Frauenbildes“, weiß die Berliner Autorin und Filmemacherin Maria Schmidt. Anfang der Neunziger veröffentlichte sie beim Belleville Verlag das Buch „Schwesterlich, Keusch und ohne Makel“ und organisierte parallel ein eigenes Nonnenfestival. In dem Buch kann man sich noch viel schlauer machen und zum Beispiel feststellen, dass viele große Schauspielerinnen, von Anna Magnani bis Catherine Deneuve, schon den Schleier trugen. Und viele Nonnenfilme ziemlicher Trash waren und umwerfende Titel trugen: „Nonnen bis aufs Blut gequält“ – oder so ähnlich.
Vom 4. –11. Dez., Kinos Hackesche Höfe, Mitte, Termine siehe cinema-taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen