: Fahndung macht Schule
Polizei lässt Fahndungsplakate zum 1. Mai auch in Schulen aufhängen. Einige Rektoren begrüßen das. Andere fühlen sich an die RAF-Fahndung erinnert und fürchten um das schulinterne Klima
von PLUTONIA PLARRE
Gegen die Gewalttaten am 1. Mai Position beziehen, ja – aber muss man sich auch zum Helfershelfer von polizeilichen Fahndungsmaßnahmen machen lassen ? Diese Frage wird in den Rektoraten von Berliner Oberschulen mehr als kontrovers diskutiert. Die einen finden, dass den Jugendlichen deutliche Grenzen aufgezeigt werden müssen, und haben die Fahndungsplakate mit mutmaßlichen Steinewerfern deshalb in ihrer Schule aufgehängt. Andere tun es nicht, weil sie sich an die Terroristenjagd zu RAF-Zeiten erinnert fühlen. Der Aufruf führe zu Misstrauen und Denunziation und vergifte das Klima an der Schule.
Dass die Polizei mit einer Plakatserie nach mutmaßlichen 1.-Mai-Steinewerfern fahndet, ist nicht neu. Wie im Vorjahr sind auch in diesem Jahr Plakate mit den Konterfeis von 54 gesuchten, zumeist jugendlichen Männern und Frauen in Verwaltungsgebäuden und auf Polizeiabschnitten ausgehängt worden. Neu ist, dass nun auch die Schulen verstärkt einbezogen werden. Nach welchen Kritieren die Auswahl erfolgte, vermochte ein Polizeisprecher nicht zu erklären. Im Verlaufe des Novembers hätten 100 Schulen die entsprechende Plakatrolle zugeschickt bekommen. Dabei handele es sich im Wesentlichen um berufsbildendende Schulen, Gesamt-, Real- und Hauptschulen in Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain, Wedding, Mitte und Prenzlauer Berg.
Nach Informationen der taz bekamen auch Schulleiter in Höhenschönhausen, Reinickendorf und Zehlendorf vom Staatsschutz Post: „Sie werden gebeten, die Fahndungsplakate in Ihrem Räumlichkeiten – auch für die Öffentlichkeit zugänglich – in eigener Verantwortung auszuhängen. Dauer: maximal sechs Monate.“ Der Aushang sei freiwillig, betont der Polizeisprecher. Das bisherige Ergebnis der Schul-Plakataktion beschreibt er so: „Vier Hinweise, ein Treffer.“
Einige Schulleiter hatten die Plakate von sich aus angefordert. Der Direktor der Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule in Kreuzberg, Michael Rudolph, ist einer davon. Seine Begründung fällt kurz und knapp aus: „Gewalt ist Gewalt.“ Die Schule könne sich nicht aus außerschulischen Konflikten heraushalten. Das Aushängen sei das Signal „Gewalt wird nicht geduldet“, sagt Rudolph. Dass die 220 Schüler der Zelter-Schule die richtigen Adressaten seien, zeige sich schon daran, dass im Vorjahr zwei und in diesem Jahr ein Schüler auf den Bildern als mutmaßliche Steinwerfer wiedererkannt worden seien. Nicht von Mitschülern, sondern von Lehrern. Stets habe sich der Verdacht bestätigt, nachdem sich die Lehrer den Videomitschnitt der Polizei vom 1. Mai angesehen hätten, von dem die Fotos stammen.
Auch die Hans-Böckler-Schule in Kreuzberg hat die Plakate ausgehängt. „Man muss klarer Grenzen setzen als bisher“, erklärt Rektor Klaus Poneß. Was am 1. Mai ablaufe, sei schon lange kein Kavaliersdelikt mehr.
Genauso überzeugt wie die Befürworter geben sich die Gegner der schulinternen Fahndung. „Wir gehen grundsätzlich gegen Gewalt vor und arbeiten gut mit der Polizei zusammen, aber nicht in dieser Form“, begründet der Rektor des Oberstufenzentrums für Ernährung und Lebensmitteltechnik in Reinickendorf, Hans Jürgen Keller, seine Ablehnung. Er ist nicht der Einzige, den die „unheimliche Bildergalerie an RAF-Zeiten“ erinnert. So wie die gefangenen RAF-Terroristen habe die Polizei die Bilder der identifizierten Jugendlichen ausgekreuzt, sagt der Rektor des Oberstufenzentrums Handel I in Kreuzberg, Karl-Heinz Wolf. „Es geht nicht darum, einen Keil zwischen Polizei und Schule zu treiben. Wir kooperieren sehr gut.“ Eine Schule habe aber andere Aufgaben, als der verlängerte Arm der Polizei zu sein.
Auch der Leiter des Sophie-Scholl-Gymnasiums in Schöneberg, Klaus Brunswicker, hat sich gegen den Aushang ausgesprochen. Er sei für jede Form der Prävention zu haben, aber zu Fahndungszecken lasse er seine Schule nicht gebrauchen. „Das schafft eine merkwürdige Atmosphäre.“
Hinter der Frage „Plakate – ja oder nein?“ verbirgt sich eine viel grundlegendere Diskussion: Wie geht Schule mit Gewalt um? „Viele Schulleiter leben in einer anderen Welt“, sagt ein Polizeiexperte. Die Dunkelziffer für Gewalttaten sei immens hoch, da die Schulen die meisten Vorfälle unter der Decke hielten, um ihre Ruhe zu haben. „Der Schulweg wird in der Regel ganz ausgekoppelt.“ Dass das Aufhängen der Plakate abgelehnt werde, weil die Gefahr bestehe, dass Schüler an den Pranger gestellt würden, so der Experte, könne er verstehen. Unabhängig davon seien die Schulen aber immer noch viel zu wenig offen und bereit, mit der Polizei zu kooperieren. Nicht selten liege das an dem alten Feindbild nach 68er-Lehrer-Generation: „Polizist gleich Bulle“. Aber auch die Polizei müsse ihren Horizont kräftig erweitern. „Staat vertreten heißt nicht, den Hardliner raushängen lassen.“
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