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Erweiterung zu kleinen Zirkeln

Auf dem Weg nach Europa (4): Die Türkei muss draußen bleiben, denn die Integration der EU nach innen ist mit der schrankenlosen Ausdehnung nach außen unvereinbar

Die Europäische Union will mehr sein als ein Bündnis gegen den internationalen Terrorismus

Die Diskussion, ob die Türkei beim Gipfel in Kopenhagen ein deutliches Signal Richtung EU-Beitritt erhalten soll, hat mit dem deutsch-französischen Abendessen am Mittwoch in Brandenburg einen vorläufigen Abschluss gefunden. Wenn die beiden starken Männer der EU, Schröder und Chirac, so deutlich vorab ihre Meinung sagen, wird das vage Unbehagen vieler kleinerer Mitgliedsländer kaum mehr ausreichen, einen so genannten Rendezvous-Beschluss in Kopenhagen zu verhindern.

Das harmlose „Signal“ nach dem Dessert wird Folgen haben: Von der Europäischen Union in ihrer jetzigen Form wird nichts übrig bleiben. Die selbstherrliche Art, in der Schröder und Chirac ihre wieder entdeckte Achse nutzen, um an den dreizehn anderen Mitgliedsstaaten vorbei die Weichen in eine von ihnen gewünschte Richtung zu stellen, ist nur ein Vorgeschmack. In gar nicht ferner Zukunft, schätzungsweise ab 2016, hat die EU 28 Mitglieder. Dann werden die Großen sich öfter treffen, um vorab zu sagen wo’s lang geht. Beim Dessert in Ankara beraten dann die Erben von Schröder und Chirac im kleinen Kreis mit Spanien, Italien, Polen, Großbritannien und der Türkei, ob sie das Mandat ihrer Eingreiftruppe in Bagdad verlängern.

Gar nicht unpassend, die deutsch-französische Initiative mit einer deutsch-französischen Wortschöpfung zu taufen. Im Klartext heißt Rendezvous-Klausel: Die EU wird der Türkei in Kopenhagen ein Datum nennen, zu dem man sich wiedertrifft, um das Datum für den Beginn von Verhandlungen festzulegen. Ende 2004, wenn die zehn neuen Mitglieder halbwegs in Brüssel einsortiert sind und die Europawahl über die Bühne ist, wird dieser historische EU-Türkei-Gipfel wahrscheinlich stattfinden. Verhandlungsbeginn könnte 2006 werden, ein paar Jahre später kämen Bulgarien und Rumänien ins Boot, ungefähr 2016 würde die Türkei das achtundzwanzigste Mitglied.

Die Diskussionen mit linken Wählern und Politikern über die Europatauglichkeit der Türkei verlaufen fast immer nach dem gleichen Muster: Die EU hat ihr Wort gegeben; wenn wir die Türkei enttäuschen, spielen wir islamistischen Fundamentalisten in die Hände; wir haben nichts gegen Muslime und dürfen die türkischen Migranten nicht enttäuschen. Zudem wird die Hürde „Kopenhagener Kriterien“ – also rechtsstaatlicher Mindestanforderungen – den Beitrittsprozess ohnehin bremsen.

Alle, die so argumentieren – die meisten Beiträge auf dieser Debattenseite gingen bislang in diese Richtung – haben drei ehrenwerte Anliegen: Sie sorgen sich erstens um die innere Entwicklung in der Türkei. Die Wahlergebnisse vom November haben allerdings gezeigt, dass die türkischen Wähler nicht so gebannt nach Europa blicken wie die europäische Linke in Richtung Türkei. Sie wollen zweitens die kulturelle Anbindung der Türken verstärken, die als Migranten in der EU leben. Wollte man diese Form der Integrationspolitik zum Prinzip erheben, müssten auch Marokko und Algerien in Kopenhagen eine Rendezvous-Klausel bekommen. Drittens sorgen sich die Autoren der Beiträge um ihre eigene politische Hygiene: Es ist kein schönes Gefühl, mit Stoiber und Co. am selben Stammtisch zu sitzen.

Die Frage ist nur, ob die Waffenbrüderschaft mit Bush, Erdogan und den Antiterrorstrategen in der EU appetitlicher ist. Es ist doch eine recht unheimliche Allianz, die sich in den vergangenen Monaten in dieser Frage gebildet hat: Dem deutschen Bundeskanzler, seinem französischen Achsenbruder Chirac und Kriegstreiber Bush geht es darum, den Vorposten im irakisch-kaukasischen Spannungsgebiet bei Laune zu halten. Der türkische De-facto-Staatschef Erdogan hofft auf Wirtschaftswachstum und Religionsfreiheit, auch für die eigenen Anhänger.

Natürlich soll die Tatsache, dass Bush aus anderen Gründen das Gleiche will, keinen aufrechten Linken von seiner Meinung abhalten. Angst vor Beifall von der falschen Seite ist schließlich ein genauso schlechter Ratgeber wie Angst vor dem fundamentalistischen Terror.

Doch ist es hilfreich, die Perspektive zu wechseln und nicht zu untersuchen, was die Türkei mit einem Beitritt gewinnen könnte oder was die EU-Mitgliedschaft für die Türken in Europa bedeuten würde. Stellen wir die umgekehrte Frage: Was bringt der Europäischen Union der Beitritt eines Landes, das weder geografisch noch kulturell zu Europa gehört, dessen geostrategischer Schwerpunkt in Asien liegt und dessen Bevölkerungsentwicklung dazu führen wird, dass es im möglichen Beitrittsjahr 2016 der größte Mitgliedsstaat der EU sein würde – eines der Schwergewichte im Ministerrat mit der größten Abgeordnetengruppe im Europäischen Parlament.

Was macht eigentlich die Substanz der Europäischen Union aus? Ist es wirklich so verwerflich, wie Eberhard Seidel an dieser Stelle behauptete, dass Europa ein Außen als Projektionsfläche braucht, um sein Innen überhaupt zu spüren? Machen politisch-soziologisch-kulturelle Verbände, die einen Teil ihrer Politik gemeinsam gestalten, überhaupt noch Sinn, wenn sie theoretisch unbegrenzt ausgedehnt werden können?

Wenn die EU im Prinzip für jedes Land offen steht, das beitreten möchte, das strategisch gebraucht wird und Migranten in der Union hat, dann ist die Frage beantwortet, wo Europa endet: Nirgends. Und es stellt sich sofort die neue Frage, wozu wir ein Bündnis wie die Nato noch brauchen, das sich durch eben die strategischen, friedenssichernden Motive definiert, die für den Beitritt der Türkei zur EU angeführt werden.

Die Europäische Union will aber mehr sein als ein Bündnis gegen den internationalen Terrorismus. Derzeit ringen in Brüssel 105 Konventsmitglieder um eine EU-Verfassung, die Europa demokratischer und bürgernäher machen soll. Die Klage, dass immer mehr wichtige Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fallen, wird von genau den gleichen Kommentatoren geführt, die sich so vehement für eine Beitrittsperspektive der Türkei aussprechen. Doch die Erweiterung ohne Grenzen und die Vertiefung innerhalb machbarer Grenzen sind unvereinbar.

In der Frage einer türkischen EU-Mitgliedschaft hat sich eine unheimliche Allianz gebildet

Wie sie in Einklang gebracht werden sollen, zeichnet sich jetzt schon ab. Verstärkte Zusammenarbeit heißt das Zauberwort, das in den Reformpapieren des deutschen und französischen Außenministers auftaucht. Nach festgelegten Spielregeln soll ein kleiner Kreis von EU-Staaten seine Politik eng gemeinschaftlich abstimmen. Alle anderen Länder bilden einen losen Kreis außen herum – sozusagen als Nato-Polster einer Kern-EU.

Wenn es so kommt, wird sich die Türkei ein weiteres Mal in der zweiten Reihe finden. Bei Militärfragen darf Ankara vielleicht gelegentlich dem inneren Zirkel angehören. Wenn es um Wirtschaft und Innenpolitik geht, bleiben die alten EU-Mitglieder unter sich. Dann hätte die Türkei nichts gewonnen. Denn die Enttäuschung, wieder mit falschen Versprechungen hingehalten worden zu sein, wird bitterer werden als in den langen Wartejahren zuvor.

DANIELA WEINGÄRTNER

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